Erwin Koller bei der Preisverleihung in Wien 2011 (Foto: Ľubo Bechný, POLIS)
Ich habe mich vor zehn Jahren intensiv mit Felix Maria Davídek auseinandergesetzt, als ich im Namen der Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche ihn und sein Werk auszeichnen und ihm ein Buch widmen durfte: «Die verratene Prophetie».
Davídek gehört in die grosse Reihe der verleugneten Propheten. Zeiten der «Krisis», der Unterscheidung und Entscheidung, laden dazu ein, solche Propheten wiederzuentdecken. Die Krise ist heute da, zuallererst nicht in Prag oder Moskau, im Kalten Krieg zwischen Ost und West, im Graben zwischen Nord und Süd. Nein, die Krisis ist in der Mitte der Kirche angekommen. Die alten Antworten passen nicht mehr. Wir müssen nach neuen suchen, und wenn wir welche gefunden haben, dazu stehen, nach dem Vorbild von Bischof Felix Maria Davídek.
Ich nenne drei Dinge, in denen Davídek noch heute wegweisend ist.
- Kirche von morgen ist nicht klerikal, sondern mitten unter den Menschen.
Das Subversive, mit dem Davídek gelebte Kirche verbunden hat und verbinden musste, um seine Vision des Christlichen zu verwirklichen, ist auch in nicht-totalitären Gesellschaften zukunftsweisend. Traditionen tragen stets die Gefahr der Verkrustung in sich. Wenn jedoch die Ideen des Ursprungs massgeblich sind und nicht überlieferte Formen, suchen diese Botschaften ihren Weg zu den Menschen und zu Gemeinschaften unter allen Konventionen hindurch und an allem Geläufigen vorbei. Solche Suche geht nicht auf Distanz und Abschottung. Sie ist den Menschen und ihren Nöten nahe. Klerikale Besserwisserei ist ihr fremd. Auserwählt sind Christinnen und Christen nicht für einen Stand, sondern allein zum Dienst und zur Liebe.
- Kirche lebt nicht im Gestern, sondern im Heute und im Morgen.
Davídek war ein leidenschaftlicher Sucher nach neuen Erkenntnissen in modernen Wissenschaften und hatte keine Scheu vor der Aufklärung und vor Wahrheiten jenseits dessen, was kirchliche Dogmen festlegen. Damit öffnete er Fenster und Türen zu Andersdenkenden und Andersglaubenden. Er lebte im Heute Gottes und machte Glauben zukunftsfähig.
Davídek hat damit die offene und weltzugewandte Haltung des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgegriffen. Die katholische Kirche ist in eine verhängnisvolle Geschichte hineingeritten, als sie sich von der Reformation und dann auch von der Aufklärung abgrenzte und nur noch das Altbackene, das seit eh und je Übliche, das Tradierte glorifizierte. Vielerorts steht sie bis heute dem modernen und aufklärerischen Geist feindlich gegenüber. Der Buchstabe ist mächtiger als der Geist, wie bei den Pharisäern, die Jesus Widerstand leisteten.
Es ist unglaublich, dass ausgerechnet ein Christ, der unter den härtesten Bedingungen einer totalitären Diktatur leben musste, die Zeichen der Zeit tiefsinniger erkannte, den Heiligen Geist in Prozessen der Gegenwart am Wirken sah und so dem Künftigen Chancen eröffnete.
- Kirche im Geist Jesu ist nicht männlich, sondern menschlich: ein gemeinsames Projekt von Männern und Frauen.
Davídek hat früh eine Synode seiner Priester einberufen, auf der das Priestertum der Frauen beraten und schliesslich beschlossen wurde. Dementsprechend hat er Frauen zu Priesterinnen geweiht und eine von ihnen, Ludmila Javorová, zur Generalvikarin ernannt.
Davídek folgte damit jesuanischen Spuren. Auch wenn Jesus gewiss kein Feminist war, stand er doch Frauen sehr offen gegenüber, Maria von Magdala ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Doch ein Jahrhundert danach und spätestens seit der Konstantinischen Wende hat das römisch-antike Patriarchat auch die Geschichte des Christentums eingeholt und so sehr geprägt, dass heute nicht wenige dieses Patriarchat mit dem Glauben verwechseln. Das ist historisch vielleicht einsichtig, jesuanisch ist es nicht. Der Nazarener hat den Menschen ins Zentrum gerückt, in seiner Gruppe lebten Männer und Frauen gleichberechtigt miteinander, in Gleichnissen hat er die Nöte von Frauen aufgegriffen. Eine Kirche, in der nur Männer das Sagen haben, ist nicht nur antiquiert, sie ist auch ein Verrat am Geist Jesu.
Erwin Koller (geb. 1940) studierte katholische und protestantische Theologie und Publizistikwissenschaft. Von 1979 bis 2002 war er beim Schweizer Fernsehen Redaktionsleiter religiöser und gesellschaftspolitischer, kultureller und medienkritischer Dokumentationen und Magazine sowie Moderator philosophischer Gesprächssendungen. Von 2013 bis 2020 war er Präsident der Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche. Im Jahr 2011 hat diese Stiftung die Verborgene Kirche der Tschechoslowakei mit seinem Preis in Wien ausgezeichnet.
Uster, 21. Februar 2021