Flugticket zum Angedenken (Josef Pampalk hat mit der TAP am 29. Mai 1971 von Beira über Lissabon und Genf nach Rom geflogen)
Im Laufe der Jahrhunderte befand sich die Kirche oft zwischen Macht und Treue zur Wahrheit – Treue zur Botschaft Jesu, Treue zum eigenen Gewissen. Im vergangenen Jahrhundert z.B. sympathisierten am Anfang manche Bischöfe, Priester und Gläubige mit der Hitler-Diktatur, später in der kommunistischen Zeit andere Bischöfe, Priester und Gläubige mit diesem totalitären System. Der gemeinsame Nenner für einen solchen Verrat an der Botschaft Jesu heißt Angst. Angst um das eigene Leben, Angst von der Verfolgung, Angst von der Diskriminierung. Konflikte zwischen dem Gewissen und der Treue zur Wahrheit gibt es in jedem Jahrhundert, in jeder Zivilisation und in jedem Menschen. Wir können solchen Konflikten nicht ausweichen, wir können sie nicht verhindern, wir können nicht immer als Sieger daraus hervorgehen. Wir können aber über sie nachdenken, sie verarbeiten und Konsequenzen daraus für uns selber ziehen. So tut es Josef Pampalk, ein ehemaliger Missionar in Mosambik, der am Ende seines Lebens seine Sichtweise niederschreibt über die Ereignisse, die zu seiner Zeit passiert sind.
Peter Zaloudek, Wien, 13. Mai 2021.
Ergänzendes Nachwort und Dank von Josef Pampalk für die Veröffentlichung dieses Textes auf der Internetplattform www.ok21.sk
Liebe Freunde, danke euch für die Veröffentlichung des Artikels. Weil der Zusammenhang unbekannt ist und weil die Einleitung auch nicht klar war, so möchte ich euch kurz noch den Hintergrund dazu schreiben: der Missionsorden der „Weißen Väter“ (heute „Missionare von Afrika“) erhielt am 25. Mai 1971 den Befehl von der Geheimpolizei Mosambik innerhalb 48 h zu verlassen – nachdem der Orden am15. Mai 1971 seinen Rückzug im selben Jahr aus Protest angekündigt hatte. (da wir an die 40 Missionare waren, wurden wir auf mehrere Linienflüge aufgeteilt, ich flog erst am 29. Mai ab, weil ich vorher die Missionare im Busch – wo es kein Telefon gab – persönlich vom Ausweisungsbefehl informieren musste).
Der Grund für den Protest war die Tatsache, dass die Missionen seit dem Konkordat von 194O des Vatikans mit Salazar die Missionen explizit als eine Agentur im Dienste des portugiesischen Imperiums galt und dass die Kolonialregierung die Bischöfe aussuchte und bezahlte, dafür von ihnen eindeutige Unterstützung erwartete bei der Aufrechterhaltung des Kolonialismus. Die Missionen in diesen portugies. ‚Kolonien‘ (diese wurden mitte der 60er Jahre offiziell umbenannt in Übersee-Provinen) hatten keine universale, sondern eine nationale Perspektive und unterstanden nicht der Propaganda Fidei sondern dem Staatssekretariat des Vatikans. Unser Protest richtete sich somit auch gegen das untätige Staatssekretariat.
Wegen dieses Bundes von „Thron und Altar“ hörten die damaligen Bischöfe mehr auf Salazar, als auf das Evangelium und erwarteten von den ‚ausländischen‘ d.h.. nicht-portugiesischen) Missionaren dieselbe Unterwürfigkeit gegenüber der Regierung. Wer kritisierte oder für die Rechte der Einheimischen eintrat, wurde bestraft oder des Landes verwiesen. Insofern entschlossen sich die Weißen Väter zu einem öffentlichen und gemeinsamen Protest. Diese Entscheidung ist uns vor genau 50 Jahren nicht leicht gefallen, wie im Artikel angedeutet, könnte erst heute richtig verstanden werden.
Verständlicherweise war die siegreiche Befreiungsbewegung nach der Unabhängigkeit ziemlich anti-kirchlich und anti-klerikal, – eben weil die Institution der Kirche auf der falschen Seite gestanden war und als Feindin angesehen wurde. Mit der Unabhängigkeit ernannte der Vatikan zwar schnell ein Dutzend schwarze Bischöfe anstelle der Portugiesen, die fluchtartig das Land verließen, aber die Glaubwürdigkeit der Kirche muss erst sehr mühsam gewonnen werden – auch indem sich die heutige Hierarchie mit dem damaligen Widerstand gegen die Diktatur identifiziert.
Das fällt schwer (so ähnlich wie nach 1945 oft der Widerstand gegen Hitler als Tabu galt oder verschwiegen wurde), das ist aber die Herausforderung heute. Die Bischöfe trauen sich auch heute zu wenig den Mund gegen Ungerechtigkeit und Korruption aufzumachen, Dom Luiz Fernando, der einzige Bischof der das in den letzten 3 Jahren tat, wurde heuer im Februar nach Brasilien versetzt – nachdem er mehrmals von der Regierung mit dem Tod bedroht worden war.
Die Zivilgesellschaft hat sich mit diesem Bischof solidarisiert und ihm gedankt. Aber die übrigen Bischöfe haben – eingeschüchtert – zuerst geschwiegen, erst 10 Wochen später sich doch für die Beendigung des Krieges im Norden zu Wort gemeldet. Die Kommission Justitia et Pax der Bischofskonferenz hat konkrete pastorale Vorschläge für konkrete Umsetzungen gemacht…
Eure Veröffentlichung wird in Mosambik als willkommene Unterstützung angesehen, weil sie ihnen das Gefühl überwinden hilft allein gelassen zu sein. Insofern danke ich euch auch im Namen der Christen und der Zivilgesellschaft in Mosambik!
Mit herzlichen Grüßen
Josef Pampalk, Wien, 20. Mai 2021.
Zur Bedeutung und Akzeptanz des Auszugs der Missionare von Afrika aus Mosambik im Jahr 1971 (M. Afr, sie hießen vorher: Weiße Väter, WV)
Der Autor war in den 1960er Jahren als Mitglied der WV in Mosambik aktiv und auch danach bis heute. Sein Beitrag zur Oral History ist gedacht als Ergänzung zu den Bibliographien in den entsprechenden Publikationen, u.a. von Eric Morier-Genoud (2019, Catholicism and the making of Politics in Central Mozambique 1940-1986); Frank Nolan (2017, The Departure of the M.Afr from Mozambique in 1971); José Augusto Sousa (2015, Memórias de um Jesuíta Missionário no Mocambique 1960-2014); Cesare Bertulli (1974, Croce e Espada)…
Ich fühle mich verpflichtet, gegen Ende meines Lebens die folgenden persönlichen Notizen nieder-zuschreiben, aus einer tiefen Dankbarkeit gegenüber und einer andauernden Identifikation mit den Missionaren Afrikas und ihrem Engagement in der jüngsten Geschichte Mosambiks und der dortigen Kirche.
Obwohl wir alle menschliche Grenzen und Versäumnisse hatten, ist meine Dankbarkeit gegenüber den WV bedingungslos. Ich bin sehr dankbar für die einzelnen Missionare, die inzwischen fast alle verstorben sind. Ich habe mich ihnen als Ganzes immer aufrichtig verbunden gefühlt, auch wenn ich die Gemeinschaft 1977 verlassen habe, blieb ich über all die Jahre bis heute aktiv mit Mosambik engagiert. Ich fühle die gleiche Sympathie, sogar eine Art fortwährende Verpflichtung gegenüber der neuen Generation von M.Afr, die sich den heutigen Herausforderungen (‚kairoi‘) stellen muss, und ich möchte sie mit zusätzlichen Hintergrundinformationen versorgen, die ihnen einen ausgewogeneren Einblick ermöglichen und ihnen bei ihrer eigenen Beurteilung helfen sollen.
- „Ein Novum in der katholischen Welt, das Schockwellen aussandte“ (Morier 2019:132 ) und inmitten globaler Widersprüche auch persönliche Zweifel aufkommen ließ (Sousa 2015:362) .
Ein Höhepunkt des gemeinsamen Engagements war die Entscheidung im Mai 1971 für unseren Rückzug aus Protest, und zwar gegen die Allianz zwischen „Thron und Altar“ und gegen die Aufrechterhaltung des Konkordats zwischen dem Vatikan und Salazar (1940), das die Missionen den Interessen des kolonialen Portugal unterstellte.
Ich fühle mich verpflichtet, das folgende Zeugnis abzulegen, weil ich mich mit dieser einzigartigen Entscheidung einer ganzen Missionskongregation ungeteilt identifiziere. Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir es gewagt, gegen diese juristische und praktische Allianz aufzustehen und das Volk von Mosambik gegen die andauernden kolonialen Ungerechtigkeiten zu verteidigen, auch um den Preis einer Konfrontation mit dem Staatssekretariat des Vatikans.
Ich fühle mich auch aus Gewissensgründen verpflichtet, meine eigene Erfahrung zu bezeugen, weil ich in den letzten 50 Jahren auf Unsicherheit, Unklarheit oder Uneinigkeit unter WV / M.Afr dieser Entscheidung gegenüber, gestoßen bin.
Vor der Unabhängigkeit 1975 gab es für uns die Möglichkeit, nach Mosambik zurückzukehren: aber P. Vasseur, der neue Generalobere, vertrat einen anderen Standpunkt und sagte zu mir: „Mit P. Van Asten konntet ihr allein entscheiden, das Land zu verlassen, aber zurückzukehren können wir nicht selber entscheiden!“ Er erkannte immer noch die Autorität der portugiesischen Bischöfe an und erwartete von ihnen, dass sie uns zurückholen würden. Doch diese Bischöfe hatten es eilig, das Land zu verlassen, da sie erkannten wie leer ihre Autoritäten und wie sie auf der falschen Seite der Geschichte gestanden waren.
Nachdem die Frelimo-Regierung die Grenzen für alle Missionare geschlossen hatte, gelang es mir, ins Land zu kommen, nachdem ich zwei Nächte im Transit des Flughafens Beira schlafen musste. Das machte mich verdächtig und veranlasste einen Freund und Mitbruder, in seinen Erinnerungen zu schreiben, „schade dass Pampalk ein Marxist geworden ist“. Bei einer zweiten persönlichen Begegnung mit P. Vasseur 1977, war er immer noch feindselig gegenüber der Entscheidung von 1971 und auch gegen mich. Dies könnte durch meinen Antrag auf Laizisierung beeinflusst worden sein. Ein möglicher Zusammenhang zwischen Akzeptanz dieser Entscheidung der Gesellschaft, sich aus Mosambik zurückzuziehen, und der Tatsache, dass einige Mitglieder später die Gesellschaft verließen, bleibt noch zu reflektieren. Aber wie sollten etwaige Ambivalenzen in der Akzeptanz dieser Entscheidung ihre inhärente größere Bedeutung für die gesamte Geschichte Afrikas oder der Weltkirche schmälern?
- Breitere Schwierigkeiten im Westen, ihre kolonialen Mentalitäten zu ändern und erste bedeutende Schritte in Afrika
Ängste, Misstrauen und Vorsicht umgaben das Thema innerhalb und außerhalb Mosambiks und führten dazu, dass religiöse Menschen überall Urteile zurückhielten oder Initiativen blockierten. Ich erinnere mich an eine nationale Pastoral-Versammlung Ende 1971 im Priesterseminar von Kipala-pala / Tansania, wo etwa 100 Geistliche das Thema Konkordat und Befreiungskrieg in Mosambik ansprachen (aber erst nachdem die Baraza la Waumini, die tansanische Versammlung der Laien, eine kritische öffentliche Stellungnahme abgegeben hatte). Ein Protestbrief an den Vatikan wurde entworfen, heiß diskutiert, schließlich von den Priestern gebilligt; er wurde aber nur heimlich über den Nuntius nach Rom geschickt, aus Vorsicht und umsonst.
Zur gleichen Zeit hatte sich die amerikanische Gemeinschaft der Maryknoll-Schwestern in Tansania über den Konflikt in Mosambik informiert und dann einen starken öffentlichen Brief an den Vatikan geschickt mit der Aufforderung, dieses anachronische und anti-evangelische Konkordat mit dem kolonialen Portugal aufzuheben.
In Europa wagte es 1969 nur die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in Belgien, diese nicht mehr tolerierbare Doppelzüngigkeit der katholischen Kirche anzuprangern. Dies blieb eine Ausnahme. Der Westen im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen waren während des „Kalten Krieges“ sehr zurückhaltend gegenüber afrikanischen Befreiungsbewegungen, duldeten oder unterstützten eher den rassistischen Kolonialismus in Mosambik, Rhodesien und Südafrika (Portugal war NATO-Mitglied). Aus Angst vor dem Kommunismus waren weder Rom noch der Westen bereit oder in der Lage, ihre Position und Meinung zu ändern.
In einem Brief der FRELIMO, der MPLA und der PAIGC 1969 an die Gesamtafrikanische Bischofskonferenz, die anlässlich des Besuchs von Papst Paul VI. in Kampala versammelt war, wurde ausdrücklich festgestellt, dass „die katholische Kirche Portugals ihren eigenen Prinzipien widerspricht, indem sie die koloniale Unterdrückung unterstützt“, und dass „ihre zukünftige Haltung gegenüber der Kirche davon abhängen würde, welche Haltung Rom heute gegenüber der Würde und Souveränität dieser Völker einnimmt“.
Nur der Weltkirchenrat, WCC, beschloss 1970 in seinem Antirassismusprogramm, Geld an Befreiungsbewegungen für deren Arbeit im Gesundheits- oder Bildungswesen zu spenden. Der WCC suspendierte sogar die Mitgliedschaft der Niederländischen Reformierten Kirche in Südafrika wegen ihrer Unterstützung der Apartheid. Eine anonyme ökumenische Gruppe von Theologen identifizierte 1985 in den gesellschaftspolitischen Krisen einen „Kairos“ und die Positionen der verschiedenen Kirchen als prophetisch oder als das Gegenteil.
- Einige Umstände, die bei dieser ‚rebellischen‘ Entscheidung höchstens sekundär mitspielten
In der von der deutschen M. Afr herausgegebenen Broschüre „150 Jahre Missionare von Afrika 1868 – 2018“ findet sich in der Chronologie kein Hinweis auf den Rückzug aus Mosambik 1971. Im entsprechenden Textteil gibt es zwar einen Hinweis darauf, aber er wird eher verharmlost als eine widersprüchliche Entscheidung, von einer radikalen Minderheit von Mitbrüdern und keineswegs als eine gemeinsame Entscheidung aller WV-Mitglieder der Region Mosambik und der Kongregation als Ganzes.
Das ist nicht die volle Wahrheit über diese Entscheidung, sondern eine voreingenommene Interpretation, die eine innere Zurückhaltung zeigt, sich vom Faktum und von seiner Bedeutung und Akzeptanz distanziert. Ich habe die Publikation zum 150-Jahr-Jubiläum in anderen Sprachen und Provinzen nicht gesehen, aber diese scheint zu bedeuten, dass diese Entscheidung in den heutigen Gemeinschaften noch immer nicht vollständig verstanden oder angenommen worden ist.
Natürlich war diese Position 1971 unter den portugiesischen Bischöfen dominant und wurde von der römischen Kurie geteilt. „Angesichts der ausgedehnten Unentschlossenheit und Untätigkeit des Vatikans … beschlossen die WV, einseitig zu handeln“ (Morier 20219:143). Kardinal Villot, der Staatssekretär, hielt diese Entscheidung Theo van Asten persönlich vor (A Maverick 2020:96). Es lohnt sich nicht, an ähnliche Äußerungen des damaligen Erzbischofs von Lourenco Marques oder der Bischofskonferenz nach der Ausweisung der WFs zu erinnern (oder 1973 nach der Aufdeckung portugiesischer Massaker durch andere Missionare).
Es ist aber wichtig, sich vor Augen zu halten, dass diese Entscheidung vom Generaloberen im Dialog mit dem Generalrat und mit der Union der Generaloberen diskutiert und getroffen wurde, nachdem alle Mitbrüder zweimal konsultiert worden waren und in zwei geheimen Abstimmungen ihre persönliche Option abgegeben hatten, in Anwesenheit des Assistenten Waly Neven und einige Monate später des Ordensgenerals Theo van Asten selbst.
Ich erinnere mich an ein persönliches Gespräch in Rom 1971 nach der Ausweisung mit P. Willy Großkortenhaus, dem deutschen Assistenten: Ich konnte bei ihm nicht den geringsten Dissens mit der Entscheidung erkennen, er stand loyal zu dieser gemeinsamen Entscheidung und war nur daran interessiert, möglichst viele Fakten des ungerechten Systems, gegen das wir protestierten und über das wir auf verschiedenen Pressekonferenzen in mehreren europäischen Hauptstädten Zeugnis ablegten, genau zu dokumentieren und festzuhalten. Diese Information an den Westen war von größter Wichtigkeit. (In einer öffentlichen Audienz übergab ich Papst Paul VI. persönlich Fotos von einem gefolterten Katechetisten in Tete mit den Worten: „ Eure Heiligkeit in Mosambik warten sie auf ihre Antwort!“).
In einem früheren Gespräch mit dem „Doyen“ der deutschen WVs, P. Theodor Prein, unmittelbar nach unserer geheimen Abstimmung und nach der Entscheidung zum Rückzug, nahm er mich beiseite und sagte: „José, du sollst wissen, dass ich von der Richtigkeit dieser Entscheidung völlig überzeugt bin und sie unterstütze – auch wenn ich nicht darüber rede!“ Er begründete sein Schweigen mit der Notwendigkeit, die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die ältere deutsche Mitbrüder haben würden, wenn sie irgendwo in Afrika neu anfangen müssten. Außerdem fühlten sie eine gewisse Loyalitätspflicht gegenüber Portugal, das sie nach dem Krieg in seine Kolonien hinein gelassen hatte, als Frankreich und Großbritannien sich geweigert hatten.
Ohne ein Deutscher zu sein, aber mit Deutsch als Muttersprache, hatte ich daher eine engere Beziehung zu den deutschen Brüdern in allen Stationen und ich schätzte ihre Arbeit sehr, besonders Bruder Stanislaus Halder, mit dem ich 1967 Nazaré begann.
Ein gemeinsamer Nenner ihrer geistlichen Ausbildung und Haltung bestand in einem Gehorsam gegenüber dem Bischof, ohne zu hinterfragen, was immer er tat oder sagte. Bei älteren deutschen Priestern wurde diese apriorische Unterwerfung noch verstärkt durch ihre traditionelle theologische Ausbildung, die keine Kritik an einer von „Gottes Stellvertreter“ eingenommenen Position zuließ. Gegen die etablierte Hierarchie zu protestieren, schien ihnen eine Sünde und die Kirche zu spalten, anstatt die bestehende Spaltung zwischen der kolonialen und der Volkskirche zu manifestieren.
Natürlich war die alte Garde der WV an ein Top-Down-Verständnis von Autorität und Gehorsam gewöhnt und keineswegs an ein synodales, selbst nachdem neue herausfordernde Ideen über die Mitverantwortung des Volkes Gottes nach Vat. II (Lumen Gentium) alle Missionsstationen und auch den Busch erreichten. Eine zweite Veränderung durch Vat. II (Gaudium et Spes) war die Ablehnung des Dualismus von geistlichem Glauben und weltlicher Gerechtigkeit, der die Evangelisierung von den politischen Realitäten trennte und die Missionare von jeglichem prophetischen Auftreten gegen Ungerechtigkeiten abhielt (was nur von einzelnen Pionieren übernommen wurde, wie P. Charles Pollet, der 1967 ausgewiesen wurde).
In den Jahren vor der Entscheidung wurden in allen Diözesen „theolgogische aggiornamento Wochen“ vom „Centro Pastoral de Informacâo e Investigacao, CPI-Beira“ organisiert, das anfangs diözesan war (unter der Leitung von Mons. Duarte de Almeida, der zusammen mit uns 1971 ausgewiesen wurde), dann der CEM, Conferência Episcopal de Mocambique, unterstand.
Diese Treffen hatten sicherlich einen sehr wichtigen Einfluss unter den verschiedenen Missionaren und Gemeinden. Natürlich legten sie verborgene Konflikte offen zwischen Traditionalisten und Reformern, sowohl unter Portugiesen wie ‚Ausländern’. Aber dies war auch ein sehr dynamischer Prozess der Erneuerung und auch der Zusammenführung von Klerus und Laien in Beira – mehr und anders als das, was Morier aus einem rein äußerlichen soziologischen Kriterium eines Versagens im ‚Management von Verschiedenheiten‘ zu unterstellen schien.
Bereits 1965-68, bevor Nazaré offiziell eröffnet werden konnte, gab es eine Reihe von Seminaren auf der Ebene der Missionen verschiedener Gemeinden, die eine neue Vision von christlichen Basis Gemeinden und ihrer Leitung vermittelten. Joâo Sozinho, der gewählte Sprecher der Katechisten, sagte später: „Wir lebten die Unabhängigkeit schon vor 75“. Im regulären Kurs erarbeiteten und veröffentlichten wir katechetisches, liturgisches und pastorales Material über das CIP. Diese Praxis gab der Theorie und den Ideen, die in den theologischen Sitzungen diskutiert wurden, Substanz. Natürlich waren nicht alle damit einverstanden. Zu den stärksten Gegnern gehörten Bischöfe, die eigentlich von der Regierung ausgewählt wurden, die einzige Ausnahme war Dom Manuel Vieira Pinto, der aus der Bewegung für eine bessere Welt kam und im April 1974 ausgewiesen wurde.
Von Anfang an versuchten wir, alle verschiedenen Kongregationen, die in den Diözesen Beira, Tete oder Quelimane arbeiteten, in das Personal von Nazaré zu integrieren (Jesuiten, Säkulare, Burgos, Picpus, Fmm, Fmdp, Paulinas, Kapuziner, Comboni, Dehonianos usw.) Das erlaubte ihnen später, die Arbeit in den Missionen der WV nach ihrer Ausweisung weiterzuführen. Als die neue Residenz in Nazaré fertig war, zog der Regionalobere der WV, P. Bertulli, ein; das gab den Eindruck, dieses interdiözesane Zentrum könnte ein Zentrum der WV sein, was nicht angebracht war für dieses interkongregationale Bemühen für die Ortskirche. (Inzwischen haben die M. Afr ein eigenes Regionalhaus gebaut, ein paar km entfernt).
Nachdem es 1975 in naiver Weise von einem Interimsdirektor an die Frelimo übergeben worden war (Sousa 2015:574), muss das Zentrum Nazaré nun eine neue Pionierrolle für sich entdecken und eine breitere Unterstützung dafür mobilisieren.
In der Vergangenheit wurde Bertulli als Bulldozer gesehen, der die Dinge durchsetzte, allerdings nach seinem Willen. Obwohl er selbst scholastische Theologie studiert hatte, machte er sich die Lehren von Vat. II stark zu eigen und wurde ein sturer Verteidiger neuer Ideen und ein harter Richter über alte. (Später wurde er viel milder, starb aber zu früh bei einem Autounfall in Rom). Seine Hartnäckigkeit brachte ihm Anerkennung, aber auch einige Anfeindungen ein, sogar innerhalb seiner eigenen Kongregation, besonders 1971 während der Reifung der Entscheidung. Ein eifriger Missionar sagte zu mir: „Wenn er gehen will, dann bleibe ich hier“. Als damaliger Regionaloberer stand Bertulli als effizienter Befehlshaber sehr im Mittelpunkt (auch in den Dokumenten und in der darauf basierenden Darstellung von Francis Nolan). Vielleicht war dies ein weiterer Grund, warum sich einige „einfache“ Mitbrüder weniger wertgeschätzt und einbezogen gefühlt haben könnten?
Natürlich fühlten sich gute Pastoren wie gezwungen, ihre Herde im Stich zu lassen oder zu verraten. Die Entscheidung war für niemanden von uns leicht. Es gab eine Art Patt zwischen pro oder contra. Noch vor der endgültigen Abstimmung, während der Siesta Zeit des letzten Tages, trafen sich einige von uns in einer kleinen Gruppe und kamen zu dem Schluss, dass wir diese Sackgasse überwinden müssten.
Noch früher trafen wir uns wöchentlich in Nazaré mit den Familien (12 im zweiten und 18 im ersten Jahr): Sie waren sich ihrer eigenen prekären Situation bewusst und ermutigten uns, keine Angst zu haben, unseren Teil der gemeinsamen Verantwortung zu übernehmen…
Mindestens 50 Jahre später konnten wir alle diese harte Entscheidung besser verstehen und reiflich überlegt bekräftigen.
- Der gegenwärtige neue Kairos
1971 war ein einmaliger historischer Moment für eine prophetische Entscheidung einer Missionsgemeinschaft. Er wurde aber durch spätere, allen bekannte Entwicklungen in Mosambik getrübt: Sie wichen von den ursprünglichen Idealen der Befreiung, der Gerechtigkeit und der Entwicklung für alle ab. Sie verlangen nun von allen Bürgern und Gläubigen einen unaufschiebbaren Einsatz zur Überwindung der Krise und des daraus resultierenden Leids der Menschen. Der andauernde Krieg im Norden, und die wahren Konfliktursachen, die dahinter stehen, sind der stärkste Appell, sofort ein gemeinsames Nachdenken und Handeln über Gerechtigkeit für alle zu beginnen. Der Kirche kommt inmitten der gegenwärtigen Krisen – wie auch in der Vergangenheit – eine entscheidende Rolle zu:
Ihr prophetisches Eintreten für Gerechtigkeit wird heute zweideutig, weniger kohärent und glaubwürdig, wenn sie nicht klar mit dem Unrecht der Vergangenheit bricht und die Anprangerung der kolonialen Ungerechtigkeiten in den 1970er Jahren nicht voll und unzweideutig übernimmt.
Vor 50 Jahren trugen eine gute Führung und ein offener Dialog wesentlich dazu bei, dass persönliche Entscheidungen nicht isoliert getroffen wurden, sondern Teil eines gemeinsamen Bemühens waren, in dem sich viele auf lokaler, nationaler und sogar regionaler Ebene betroffen, informiert und integriert fühlten. Und dieses Bemühen um kirchliche Erneuerung war mit dem Kampf um Gerechtigkeit und Frieden für alle verbunden.
Die Menschen in Mosambik haben dieses Zeugnis der Vergangenheit wahrgenommen und gewürdigt und der Kirche infolgedessen neues Vertrauen und neue Glaubwürdigkeit geschenkt. Aber jetzt ist ein neuer Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden von allen nötig, besonders von den Gläubigen aller Religionen obwohl der Krieg im Norden kein religiöser ist.
Die Unabhängigkeit Mosambiks ermöglichte die vollständige Etablierung der Kirche in Mosambik („sie tat mehr als die meisten anderen Kirchen auf dem Kontinent, um ihr altes imperiales und missionarisches Modell aufzugeben“ – Morier 2019:176). Aber dieser historische Weg ist noch nicht zu Ende und noch nicht vollständig verwirklicht. Jetzt ist es an der Zeit für eine neue gemeinsame Anstrengung in diesem Land, die die Kontinuität ihres eindeutigen Engagements für Gerechtigkeit deutlich macht und aktualisiert.
– Zunächst einmal innerhalb der Kirche: indem wir uns an die Lehren der Vergangenheit erinnern, um neue Dynamiken und Synergien zu initiieren. Bei der Ermöglichung dieser neuen Dynamik unter den Christen könnte das Zentrum Nazaré im Jahr 2021 wieder eine wichtige Rolle spielen, indem es eine Bühne bietet und sogar als Ferment fungiert – mit einer neuen, bewussten und ausdrücklichen Unterstützung durch die gesamte Kongregation der M. Afr und der lokalen Kirchen der Region (IMBISA).
– Zweitens eine neue Dimension der Zusammenarbeit zwischen Christen und Moslems: Unverzügliche Initiierung von Begegnungen und Zusammenarbeit mit muslimischen Führern in den Kriegsgebieten des Nordens, nach dem eindeutigen Beispiel von Papst Franziskus und dem Appell des ehemaligen Bischofs von Pemba (der für seinen mutigen Einsatz mit dem Leben bedroht und 2021 nach Brasilien versetzt wurde).
Die M. Afr stellen internationale Expertise und Kontakte zur Verfügung, die sie in muslimischen Gemeinden in Nord- und Westafrika oder im Nahen Osten gewonnen haben. Die Weißen Väter sind inzwischen gereift als Missionare Afrikas und müssen die gegenwärtigen Herausforderungen und Verantwortungen annehmen und weiter pflegen, was 1971 gesät worden ist.
Zu glauben, dass der Heilige Geist im Jahr 2021 am Werk ist, wie er es 1971 war, verlangt von uns eine Antwort, indem wir versuchen, sein Wirken in Mosambik heute zu entdecken und uns mit ganzem Herzen daran zu beteiligen.
„Da Christus für alle Menschen gestorben ist … glauben wir, dass der Heilige Geist in einer nur Gott bekannten Weise am Werk ist und jedem Menschen die Möglichkeit bietet, mit dem Oster-Mysterium verbunden zu werden“. (GS 22).
in Wien, 01.05.2021