Söhne von Müllfahrern und Sohn Gottes

Ein guter Baum trägt keine schlechten Früchte und ein schlechter Baum keine guten. (Lukas 6:43)

Sonntags-(nicht)-predigt 24. Oktober 2021 denník N

Die Ostpolitik des Vatikans und das kommunistische Regime einigten sich auf drei Namen und besetzten im Frühjahr 1973 „vakante Bischofsthrone“. Einer von ihnen, der Bischof von Trnava Július Gábriš, weihte die ersten Theologen des Bratislavaer Priesterseminars. In einer feierlichen Predigt im Herbst 1973 sagte er zu den Diakonen, ihren Familien und Freunden sinngemäß, dass die Musikband die Beatles nur die Söhne von Müllfahrern in den Vororten von Liverpool sei und ihre Musik nicht gut sein könne, denn ein böser Baum könne keine guten Früchte tragen. Es war eine weitere Predigt slowakischer Kirchenbeamter, bei der ich mir eine Welt ohne sie vorstellen konnte…

Imagine!

Heute sind 50 Jahre seit Lennons Lied vergangen…

Imagine!

Der wahrscheinlich meistgespielte, bekannteste und meistzitierte Song aller Zeiten! Eine ihrer aktuellen Varianten sagt auch in einem Flüstervortrag von Milan Lasica „Es scheint uns immer, dass du hier bei uns bist, John. Und ein Lächeln auf deinem Gesicht hat zu unseren Träumen beigetragen.“

Was war zuerst da? Die gute Frucht, die für das Gute ihres Baumes steht? Oder ist ein offizieller Stempel ein Garant für eine Frucht?

Die Ostpolitik des Vatikans hat eine Katastrophe gebracht. Sie hat alles ausgerottet, was versucht hat zu wachsen, zu gebären und Risiken einzugehen im Wettbewerb mit den innovativen Motiven der Welt. Stellen Sie sich vor, dass eines Tages alle Menschen auf der Welt in Liebe leben würden. Keine Kriege, kein Eigentum und keine Religionen. Leben einfach nur in Liebe und aus Liebe. Wer erzählt uns davon? Gábriš Büro? Lennons Fantasie? Jesu Traum?

übersetzt von Huber Kožár

 

Die verratene Prophetie

Der Genossenschaftsverlag Edition Exodus hat das Buch Die verratene Prophetie für die Herbert Haag Stiftung und für ok21 zur Publikation auf der jeweiligen Website zur Verfügung gestellt. Das Buch ist ab sofort als PDF-Datei auf der Homepage der Herbert Haag Stiftung zu finden.

Erwin Koller, Hans Küng, Peter Križan (Hrsg.):

Die verratene Prophetie. Die tschechoslowakische Untergrundkirche zwischen Vatikan und Kommunismus. Edition Exodus, Luzern 2011

Die Verborgene Kirche wirkte zur Zeit der kommunistischen Herrschaft im Untergrund der Tschechoslowakei. Unter der Führung von Bischof Felix M. Davídek setzte sie sich für eine fundierte theologische Bildung und Seelsorge ein und sicherte das Überleben der Kirche im Hinblick auf weitere Verfolgungen durch die Weihe von Priestern und Bischöfen, ja sogar von Frauen. Ihre Visionen von Kirche, Theologie und Spiritualität sind zukunftsweisend.

Es zeichnet durch Beiträge von innen und aussen ein Bild dieser wenig bekannten Kirche und möchte ihre prophetische Bedeutung für die Weltkirche vermitteln. Die Herbert-Haag-Stiftung verlieh der Verborgenen Kirche am 2. April 2011 in Wien den „Preis für Freiheit in der Kirche“ und setzte damit ein Zeichen der Erinnerung und gegen das Verschweigen.

www.herberthaag-stiftung.ch

https://www.herberthaag-stiftung.ch/index.php?nav=258

Auszug der Missionare von Afrika aus Mosambik im Jahr 1971

Flugticket zum Angedenken (Josef Pampalk hat mit der TAP am 29. Mai 1971 von Beira über Lissabon und Genf nach Rom geflogen)

Im Laufe der Jahrhunderte befand sich die Kirche oft zwischen Macht und Treue zur Wahrheit – Treue zur Botschaft Jesu, Treue zum eigenen Gewissen. Im vergangenen Jahrhundert z.B. sympathisierten am Anfang manche Bischöfe, Priester und Gläubige mit der Hitler-Diktatur, später in der kommunistischen Zeit andere Bischöfe, Priester und Gläubige mit diesem totalitären System. Der gemeinsame Nenner für einen solchen Verrat an der Botschaft Jesu heißt Angst. Angst um das eigene Leben, Angst von der Verfolgung, Angst von der Diskriminierung. Konflikte zwischen dem Gewissen und der Treue zur Wahrheit gibt es in jedem Jahrhundert, in jeder Zivilisation und in jedem Menschen. Wir können solchen Konflikten nicht ausweichen, wir können sie nicht verhindern, wir können nicht immer als Sieger daraus hervorgehen. Wir können aber über sie nachdenken, sie verarbeiten und Konsequenzen daraus für uns selber ziehen. So tut es Josef Pampalk, ein ehemaliger Missionar in Mosambik, der am Ende seines Lebens seine Sichtweise niederschreibt über die Ereignisse, die zu seiner Zeit passiert sind.

Peter Zaloudek, Wien, 13. Mai 2021.

Ergänzendes Nachwort und Dank von Josef Pampalk für die Veröffentlichung dieses Textes auf der Internetplattform www.ok21.sk

Liebe Freunde, danke euch für die Veröffentlichung des Artikels. Weil der Zusammenhang unbekannt ist und weil die Einleitung auch nicht klar war, so möchte ich euch kurz noch den Hintergrund dazu schreiben: der Missionsorden der „Weißen Väter“ (heute „Missionare von Afrika“) erhielt am 25. Mai 1971 den Befehl von der Geheimpolizei Mosambik innerhalb 48 h zu verlassen – nachdem der Orden am15. Mai 1971 seinen Rückzug im selben Jahr aus Protest angekündigt hatte. (da wir an die 40 Missionare waren, wurden wir auf mehrere Linienflüge aufgeteilt, ich flog erst am 29. Mai ab, weil ich vorher die Missionare im Busch – wo es kein Telefon gab – persönlich vom Ausweisungsbefehl informieren musste).

Der Grund für den Protest war die Tatsache, dass die Missionen seit dem Konkordat von 194O des Vatikans mit Salazar die Missionen explizit als eine Agentur im Dienste des portugiesischen Imperiums galt und dass die Kolonialregierung die Bischöfe aussuchte und bezahlte, dafür von ihnen eindeutige Unterstützung erwartete bei der Aufrechterhaltung des Kolonialismus. Die Missionen in diesen portugies. ‚Kolonien‘  (diese wurden mitte der 60er Jahre offiziell umbenannt in Übersee-Provinen) hatten keine universale, sondern eine nationale Perspektive und unterstanden nicht der Propaganda Fidei sondern dem Staatssekretariat des Vatikans. Unser Protest richtete sich somit auch gegen das untätige Staatssekretariat.

Wegen dieses Bundes von „Thron und Altar“ hörten die damaligen Bischöfe mehr auf Salazar, als auf das Evangelium und erwarteten von den ‚ausländischen‘ d.h.. nicht-portugiesischen) Missionaren dieselbe Unterwürfigkeit gegenüber der Regierung. Wer kritisierte oder für die Rechte der Einheimischen eintrat, wurde bestraft oder des Landes verwiesen. Insofern entschlossen sich die Weißen Väter zu einem öffentlichen und gemeinsamen Protest. Diese Entscheidung ist uns vor genau 50 Jahren nicht leicht gefallen, wie im Artikel angedeutet, könnte erst heute richtig verstanden werden.

Verständlicherweise war die siegreiche Befreiungsbewegung nach der Unabhängigkeit ziemlich anti-kirchlich und anti-klerikal, – eben weil die Institution der Kirche auf der falschen Seite gestanden war und als Feindin angesehen wurde. Mit der Unabhängigkeit ernannte der Vatikan zwar schnell ein Dutzend schwarze Bischöfe anstelle der Portugiesen, die fluchtartig das Land verließen, aber die Glaubwürdigkeit der Kirche muss  erst sehr mühsam gewonnen werden – auch indem sich die heutige Hierarchie mit dem damaligen Widerstand gegen die Diktatur identifiziert.

Das fällt schwer (so ähnlich wie nach 1945 oft der Widerstand gegen Hitler als Tabu galt oder verschwiegen wurde), das ist aber die Herausforderung heute. Die Bischöfe trauen sich auch heute zu wenig den Mund gegen Ungerechtigkeit und Korruption aufzumachen, Dom Luiz Fernando, der einzige Bischof der das in den letzten 3 Jahren tat, wurde heuer im Februar nach Brasilien versetzt – nachdem er mehrmals von der Regierung mit dem Tod bedroht worden war.

Die Zivilgesellschaft hat sich mit diesem Bischof solidarisiert und ihm gedankt. Aber die übrigen Bischöfe haben – eingeschüchtert – zuerst geschwiegen, erst 10 Wochen später sich doch für die Beendigung des Krieges im Norden zu Wort gemeldet. Die Kommission Justitia et Pax der Bischofskonferenz hat konkrete pastorale Vorschläge für konkrete Umsetzungen gemacht…

Eure Veröffentlichung wird in Mosambik als willkommene Unterstützung angesehen, weil sie ihnen das Gefühl überwinden hilft allein gelassen zu sein. Insofern danke ich euch auch im Namen der Christen und der Zivilgesellschaft in Mosambik!

Mit herzlichen Grüßen

Josef Pampalk, Wien, 20. Mai 2021.

 

Zur Bedeutung und Akzeptanz des Auszugs der Missionare von Afrika aus Mosambik im Jahr 1971 (M. Afr, sie hießen vorher: Weiße Väter, WV)

Der Autor war in den 1960er Jahren als Mitglied der WV in Mosambik aktiv und auch danach bis heute. Sein Beitrag zur Oral History ist gedacht als Ergänzung zu den Bibliographien in den entsprechenden Publikationen, u.a. von Eric Morier-Genoud (2019, Catholicism and the making of Politics in Central Mozambique 1940-1986); Frank Nolan (2017, The Departure of the M.Afr from Mozambique in 1971); José Augusto Sousa (2015, Memórias de um Jesuíta Missionário no Mocambique 1960-2014); Cesare Bertulli (1974, Croce e Espada)…

Ich fühle mich verpflichtet, gegen Ende meines Lebens die folgenden persönlichen Notizen nieder-zuschreiben, aus einer tiefen Dankbarkeit gegenüber und einer andauernden Identifikation mit den Missionaren Afrikas und ihrem Engagement in der jüngsten Geschichte Mosambiks und der dortigen Kirche.

Obwohl wir alle menschliche Grenzen und Versäumnisse hatten, ist meine Dankbarkeit gegenüber den WV bedingungslos. Ich bin sehr dankbar für die einzelnen Missionare, die inzwischen fast alle verstorben sind. Ich habe mich ihnen als Ganzes immer aufrichtig verbunden gefühlt, auch wenn ich die Gemeinschaft 1977 verlassen habe, blieb ich über all die Jahre bis heute aktiv mit Mosambik engagiert. Ich fühle die gleiche Sympathie, sogar eine Art fortwährende Verpflichtung gegenüber der neuen Generation von M.Afr, die sich den heutigen Herausforderungen (‚kairoi‘) stellen muss, und ich möchte sie mit zusätzlichen Hintergrundinformationen versorgen, die ihnen einen ausgewogeneren Einblick ermöglichen und ihnen bei ihrer eigenen Beurteilung helfen sollen.

  1. „Ein Novum in der katholischen Welt, das Schockwellen aussandte“ (Morier 2019:132 ) und inmitten globaler Widersprüche auch persönliche Zweifel aufkommen ließ (Sousa 2015:362) .

Ein Höhepunkt des gemeinsamen Engagements war die Entscheidung im Mai 1971 für unseren Rückzug aus Protest, und zwar gegen die Allianz zwischen „Thron und Altar“ und gegen die Aufrechterhaltung des Konkordats zwischen dem Vatikan und Salazar (1940), das die Missionen den Interessen des kolonialen Portugal unterstellte.

Ich fühle mich verpflichtet, das folgende Zeugnis abzulegen, weil ich mich mit dieser einzigartigen Entscheidung einer ganzen Missionskongregation ungeteilt identifiziere. Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir es gewagt, gegen diese juristische und praktische Allianz aufzustehen und das Volk von Mosambik gegen die andauernden kolonialen Ungerechtigkeiten zu verteidigen, auch um den Preis einer Konfrontation mit dem Staatssekretariat des Vatikans.

Ich fühle mich auch aus Gewissensgründen verpflichtet, meine eigene Erfahrung zu bezeugen, weil ich in den letzten 50 Jahren auf Unsicherheit, Unklarheit oder Uneinigkeit unter WV / M.Afr dieser Entscheidung gegenüber, gestoßen bin.

Vor der Unabhängigkeit 1975 gab es für uns die Möglichkeit, nach Mosambik zurückzukehren: aber P. Vasseur, der neue Generalobere, vertrat einen anderen Standpunkt und sagte zu mir: „Mit P. Van Asten konntet ihr allein entscheiden, das Land zu verlassen, aber zurückzukehren können wir nicht selber entscheiden!“ Er erkannte immer noch die Autorität der portugiesischen Bischöfe an und erwartete von ihnen, dass sie uns zurückholen würden. Doch diese Bischöfe hatten es eilig, das Land zu verlassen, da sie erkannten wie leer ihre Autoritäten und wie sie auf der falschen Seite der Geschichte gestanden waren.

Nachdem die Frelimo-Regierung die Grenzen für alle Missionare geschlossen hatte, gelang es mir, ins Land zu kommen, nachdem ich zwei Nächte im Transit des Flughafens Beira schlafen musste. Das machte mich verdächtig und veranlasste einen Freund und Mitbruder, in seinen Erinnerungen zu schreiben, „schade dass Pampalk ein Marxist geworden ist“. Bei einer zweiten persönlichen Begegnung mit P. Vasseur 1977, war er immer noch feindselig gegenüber der Entscheidung von 1971 und auch gegen mich. Dies könnte durch meinen Antrag auf Laizisierung beeinflusst worden sein. Ein möglicher Zusammenhang zwischen Akzeptanz dieser Entscheidung der Gesellschaft, sich aus Mosambik zurückzuziehen, und der Tatsache, dass einige Mitglieder später die Gesellschaft verließen, bleibt noch zu reflektieren. Aber wie sollten etwaige Ambivalenzen in der Akzeptanz dieser Entscheidung ihre inhärente größere Bedeutung für die gesamte Geschichte Afrikas oder der Weltkirche schmälern?

  1. Breitere Schwierigkeiten im Westen, ihre kolonialen Mentalitäten zu ändern und erste bedeutende Schritte in Afrika

Ängste, Misstrauen und Vorsicht umgaben das Thema innerhalb und außerhalb Mosambiks und führten dazu, dass religiöse Menschen überall Urteile zurückhielten oder Initiativen blockierten. Ich erinnere mich an eine nationale Pastoral-Versammlung Ende 1971 im Priesterseminar von Kipala-pala / Tansania, wo etwa 100 Geistliche das Thema Konkordat und Befreiungskrieg in Mosambik ansprachen (aber erst nachdem die Baraza la Waumini, die tansanische Versammlung der Laien, eine kritische öffentliche Stellungnahme abgegeben hatte). Ein Protestbrief an den Vatikan wurde entworfen, heiß diskutiert, schließlich von den Priestern gebilligt; er wurde aber nur heimlich über den Nuntius nach Rom geschickt, aus Vorsicht und umsonst.

Zur gleichen Zeit hatte sich die amerikanische Gemeinschaft der Maryknoll-Schwestern in Tansania über den Konflikt in Mosambik informiert und dann einen starken öffentlichen Brief an den Vatikan geschickt mit der Aufforderung, dieses anachronische und anti-evangelische Konkordat mit dem kolonialen Portugal aufzuheben.

In Europa wagte es 1969 nur die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in Belgien, diese nicht mehr tolerierbare Doppelzüngigkeit der katholischen Kirche anzuprangern. Dies blieb eine Ausnahme. Der Westen im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen waren während des „Kalten Krieges“ sehr zurückhaltend gegenüber afrikanischen Befreiungsbewegungen, duldeten oder unterstützten eher den rassistischen Kolonialismus in Mosambik, Rhodesien und Südafrika (Portugal war NATO-Mitglied). Aus Angst vor dem Kommunismus waren weder Rom noch der Westen bereit oder in der Lage, ihre Position und Meinung zu ändern.

In einem Brief der FRELIMO, der MPLA und der PAIGC 1969 an die Gesamtafrikanische Bischofskonferenz, die anlässlich des Besuchs von Papst Paul VI. in Kampala versammelt war, wurde ausdrücklich festgestellt, dass „die katholische Kirche Portugals ihren eigenen Prinzipien widerspricht, indem sie die koloniale Unterdrückung unterstützt“, und dass „ihre zukünftige Haltung gegenüber der Kirche davon abhängen würde, welche Haltung Rom heute gegenüber der Würde und Souveränität dieser Völker einnimmt“.

Nur der Weltkirchenrat, WCC, beschloss 1970 in seinem Antirassismusprogramm, Geld an Befreiungsbewegungen für deren Arbeit im Gesundheits- oder Bildungswesen zu spenden. Der WCC suspendierte sogar die Mitgliedschaft der Niederländischen Reformierten Kirche in Südafrika wegen ihrer Unterstützung der Apartheid. Eine anonyme ökumenische Gruppe von Theologen identifizierte 1985 in den gesellschaftspolitischen Krisen einen „Kairos“ und die Positionen der verschiedenen Kirchen als prophetisch oder als das Gegenteil.

  1. Einige Umstände, die bei dieser ‚rebellischen‘ Entscheidung höchstens sekundär mitspielten

In der von der deutschen M. Afr herausgegebenen Broschüre „150 Jahre Missionare von Afrika 1868 – 2018“ findet sich in der Chronologie kein Hinweis auf den Rückzug aus Mosambik 1971. Im entsprechenden Textteil gibt es zwar einen Hinweis darauf, aber er wird eher verharmlost als eine widersprüchliche Entscheidung, von einer radikalen Minderheit von Mitbrüdern und keineswegs als eine gemeinsame Entscheidung aller WV-Mitglieder der Region Mosambik und der Kongregation als Ganzes.

Das ist nicht die volle Wahrheit über diese Entscheidung, sondern eine voreingenommene Interpretation, die eine innere Zurückhaltung zeigt, sich vom Faktum und von seiner Bedeutung und Akzeptanz distanziert. Ich habe die Publikation zum 150-Jahr-Jubiläum in anderen Sprachen und Provinzen nicht gesehen, aber diese scheint zu bedeuten, dass diese Entscheidung in den heutigen Gemeinschaften noch immer nicht vollständig verstanden oder angenommen worden ist.

Natürlich war diese Position 1971 unter den portugiesischen Bischöfen dominant und wurde von der römischen Kurie geteilt. „Angesichts der ausgedehnten Unentschlossenheit und Untätigkeit des Vatikans … beschlossen die WV, einseitig zu handeln“ (Morier 20219:143). Kardinal Villot, der Staatssekretär, hielt diese Entscheidung Theo van Asten persönlich vor (A Maverick 2020:96). Es lohnt sich nicht, an ähnliche Äußerungen des damaligen Erzbischofs von Lourenco Marques oder der Bischofskonferenz nach der Ausweisung der WFs zu erinnern (oder 1973 nach der Aufdeckung portugiesischer Massaker durch andere Missionare).

Es ist aber wichtig, sich vor Augen zu halten, dass diese Entscheidung vom Generaloberen im Dialog mit dem Generalrat und mit der Union der Generaloberen diskutiert und getroffen wurde, nachdem alle Mitbrüder zweimal konsultiert worden waren und in zwei geheimen Abstimmungen ihre persönliche Option abgegeben hatten, in Anwesenheit des Assistenten Waly Neven und einige Monate später des Ordensgenerals Theo van Asten selbst.

Ich erinnere mich an ein persönliches Gespräch in Rom 1971 nach der Ausweisung mit P. Willy Großkortenhaus, dem deutschen Assistenten: Ich konnte bei ihm nicht den geringsten Dissens mit der Entscheidung erkennen, er stand loyal zu dieser gemeinsamen Entscheidung und war nur daran interessiert, möglichst viele Fakten des ungerechten Systems, gegen das wir protestierten und über das wir auf verschiedenen Pressekonferenzen in mehreren europäischen Hauptstädten Zeugnis ablegten, genau zu dokumentieren und festzuhalten. Diese Information an den Westen war von größter Wichtigkeit. (In einer öffentlichen Audienz übergab ich Papst Paul VI. persönlich Fotos von einem gefolterten Katechetisten in Tete mit den Worten: „ Eure Heiligkeit in Mosambik warten sie auf ihre Antwort!“).

In einem früheren Gespräch mit dem „Doyen“ der deutschen WVs, P. Theodor Prein, unmittelbar nach unserer geheimen Abstimmung und nach der Entscheidung zum Rückzug, nahm er mich beiseite und sagte: „José, du sollst wissen, dass ich von der Richtigkeit dieser Entscheidung völlig überzeugt bin und sie unterstütze – auch wenn ich nicht darüber rede!“ Er begründete sein Schweigen mit der Notwendigkeit, die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die ältere deutsche Mitbrüder haben würden, wenn sie irgendwo in Afrika neu anfangen müssten. Außerdem fühlten sie eine gewisse Loyalitätspflicht gegenüber Portugal, das sie nach dem Krieg in seine Kolonien hinein gelassen hatte, als Frankreich und Großbritannien sich geweigert hatten.

Ohne ein Deutscher zu sein, aber mit Deutsch als Muttersprache, hatte ich daher eine engere Beziehung zu den deutschen Brüdern in allen Stationen und ich schätzte ihre Arbeit sehr, besonders Bruder Stanislaus Halder, mit dem ich 1967 Nazaré begann.

Ein gemeinsamer Nenner ihrer geistlichen Ausbildung und Haltung bestand in einem Gehorsam gegenüber dem Bischof, ohne zu hinterfragen, was immer er tat oder sagte. Bei älteren deutschen Priestern wurde diese apriorische Unterwerfung noch verstärkt durch ihre traditionelle theologische Ausbildung, die keine Kritik an einer von „Gottes Stellvertreter“ eingenommenen Position zuließ. Gegen die etablierte Hierarchie zu protestieren, schien ihnen eine Sünde und die Kirche zu spalten, anstatt die bestehende Spaltung zwischen der kolonialen und der Volkskirche zu manifestieren.

Natürlich war die alte Garde der WV an ein Top-Down-Verständnis von Autorität und Gehorsam gewöhnt und keineswegs an ein synodales, selbst nachdem neue herausfordernde Ideen über die Mitverantwortung des Volkes Gottes nach Vat. II (Lumen Gentium) alle Missionsstationen und auch den Busch erreichten. Eine zweite Veränderung durch Vat. II (Gaudium et Spes) war die Ablehnung des Dualismus von geistlichem Glauben und weltlicher Gerechtigkeit, der die Evangelisierung von den politischen Realitäten trennte und die Missionare von jeglichem prophetischen Auftreten gegen Ungerechtigkeiten abhielt (was nur von einzelnen Pionieren übernommen wurde, wie P. Charles Pollet, der 1967 ausgewiesen wurde).

In den Jahren vor der Entscheidung wurden in allen Diözesen „theolgogische aggiornamento Wochen“ vom „Centro Pastoral de Informacâo e Investigacao, CPI-Beira“ organisiert, das anfangs diözesan war (unter der Leitung von Mons. Duarte de Almeida, der zusammen mit uns 1971 ausgewiesen wurde), dann der CEM, Conferência Episcopal de Mocambique, unterstand.

Diese Treffen hatten sicherlich einen sehr wichtigen Einfluss unter den verschiedenen Missionaren und Gemeinden. Natürlich legten sie verborgene Konflikte offen zwischen Traditionalisten und Reformern, sowohl unter Portugiesen wie ‚Ausländern’. Aber dies war auch ein sehr dynamischer Prozess der Erneuerung und auch der Zusammenführung von Klerus und Laien in Beira – mehr und anders als das, was Morier aus einem rein äußerlichen soziologischen Kriterium eines Versagens im ‚Management von Verschiedenheiten‘ zu unterstellen schien.

Bereits 1965-68, bevor Nazaré offiziell eröffnet werden konnte, gab es eine Reihe von Seminaren auf der Ebene der Missionen verschiedener Gemeinden, die eine neue Vision von christlichen Basis Gemeinden und ihrer Leitung vermittelten. Joâo Sozinho, der gewählte Sprecher der Katechisten, sagte später: „Wir lebten die Unabhängigkeit schon vor 75“. Im regulären Kurs erarbeiteten und veröffentlichten wir katechetisches, liturgisches und pastorales Material über das CIP. Diese Praxis gab der Theorie und den Ideen, die in den theologischen Sitzungen diskutiert wurden, Substanz. Natürlich waren nicht alle damit einverstanden. Zu den stärksten Gegnern gehörten Bischöfe, die eigentlich von der Regierung ausgewählt wurden, die einzige Ausnahme war Dom Manuel Vieira Pinto, der aus der Bewegung für eine bessere Welt kam und im April 1974 ausgewiesen wurde.

Von Anfang an versuchten wir, alle verschiedenen Kongregationen, die in den Diözesen Beira, Tete oder Quelimane arbeiteten, in das Personal von Nazaré zu integrieren (Jesuiten, Säkulare, Burgos, Picpus, Fmm, Fmdp, Paulinas, Kapuziner, Comboni, Dehonianos usw.) Das erlaubte ihnen später, die Arbeit in den Missionen der WV nach ihrer Ausweisung weiterzuführen. Als die neue Residenz in Nazaré fertig war, zog der Regionalobere der WV, P. Bertulli, ein; das gab den Eindruck, dieses interdiözesane Zentrum könnte ein Zentrum der WV sein, was nicht angebracht war für dieses interkongregationale Bemühen für die Ortskirche. (Inzwischen haben die M. Afr ein eigenes Regionalhaus gebaut, ein paar km entfernt).

Nachdem es 1975 in naiver Weise von einem Interimsdirektor an die Frelimo übergeben worden war (Sousa 2015:574), muss das Zentrum Nazaré nun eine neue Pionierrolle für sich entdecken und eine breitere Unterstützung dafür mobilisieren.

In der Vergangenheit wurde Bertulli als Bulldozer gesehen, der die Dinge durchsetzte, allerdings nach seinem Willen. Obwohl er selbst scholastische Theologie studiert hatte, machte er sich die Lehren von Vat. II stark zu eigen und wurde ein sturer Verteidiger neuer Ideen und ein harter Richter über alte. (Später wurde er viel milder, starb aber zu früh bei einem Autounfall in Rom). Seine Hartnäckigkeit brachte ihm Anerkennung, aber auch einige Anfeindungen ein, sogar innerhalb seiner eigenen Kongregation, besonders 1971 während der Reifung der Entscheidung. Ein eifriger Missionar sagte zu mir: „Wenn er gehen will, dann bleibe ich hier“. Als damaliger Regionaloberer stand Bertulli als effizienter Befehlshaber sehr im Mittelpunkt (auch in den Dokumenten und in der darauf basierenden Darstellung von Francis Nolan). Vielleicht war dies ein weiterer Grund, warum sich einige „einfache“ Mitbrüder weniger wertgeschätzt und einbezogen gefühlt haben könnten?

Natürlich fühlten sich gute Pastoren wie gezwungen, ihre Herde im Stich zu lassen oder zu verraten. Die Entscheidung war für niemanden von uns leicht. Es gab eine Art Patt zwischen pro oder contra. Noch vor der endgültigen Abstimmung, während der Siesta Zeit des letzten Tages, trafen sich einige von uns in einer kleinen Gruppe und kamen zu dem Schluss, dass wir diese Sackgasse überwinden müssten.

Noch früher trafen wir uns wöchentlich in Nazaré mit den Familien (12 im zweiten und 18 im ersten Jahr): Sie waren sich ihrer eigenen prekären Situation bewusst und ermutigten uns, keine Angst zu haben, unseren Teil der gemeinsamen Verantwortung zu übernehmen…

Mindestens 50 Jahre später konnten wir alle diese harte Entscheidung besser verstehen und reiflich überlegt bekräftigen.

  1. Der gegenwärtige neue Kairos

1971 war ein einmaliger historischer Moment für eine prophetische Entscheidung einer Missionsgemeinschaft. Er wurde aber durch spätere, allen bekannte Entwicklungen in Mosambik getrübt: Sie wichen von den ursprünglichen Idealen der Befreiung, der Gerechtigkeit und der Entwicklung für alle ab. Sie verlangen nun von allen Bürgern und Gläubigen einen unaufschiebbaren Einsatz zur Überwindung der Krise und des daraus resultierenden Leids der Menschen. Der andauernde Krieg im Norden, und die wahren Konfliktursachen, die dahinter stehen, sind der stärkste Appell, sofort ein gemeinsames Nachdenken und Handeln über Gerechtigkeit für alle zu beginnen. Der Kirche kommt inmitten der gegenwärtigen Krisen – wie auch in der Vergangenheit – eine entscheidende Rolle zu:

Ihr prophetisches Eintreten für Gerechtigkeit wird heute zweideutig, weniger kohärent und glaubwürdig, wenn sie nicht klar mit dem Unrecht der Vergangenheit bricht und die Anprangerung der kolonialen Ungerechtigkeiten in den 1970er Jahren nicht voll und unzweideutig übernimmt.

Vor 50 Jahren trugen eine gute Führung und ein offener Dialog wesentlich dazu bei, dass persönliche Entscheidungen nicht isoliert getroffen wurden, sondern Teil eines gemeinsamen Bemühens waren, in dem sich viele auf lokaler, nationaler und sogar regionaler Ebene betroffen, informiert und integriert fühlten. Und dieses Bemühen um kirchliche Erneuerung war mit dem Kampf um Gerechtigkeit und Frieden für alle verbunden.

Die Menschen in Mosambik haben dieses Zeugnis der Vergangenheit wahrgenommen und gewürdigt und der Kirche infolgedessen neues Vertrauen und neue Glaubwürdigkeit geschenkt. Aber jetzt ist ein neuer Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden von allen nötig, besonders von den Gläubigen aller Religionen obwohl der Krieg im Norden kein religiöser ist.

Die Unabhängigkeit Mosambiks ermöglichte die vollständige Etablierung der Kirche in Mosambik („sie tat mehr als die meisten anderen Kirchen auf dem Kontinent, um ihr altes imperiales und missionarisches Modell aufzugeben“ – Morier 2019:176). Aber dieser historische Weg ist noch nicht zu Ende und noch nicht vollständig verwirklicht. Jetzt ist es an der Zeit für eine neue gemeinsame Anstrengung in diesem Land, die die Kontinuität ihres eindeutigen Engagements für Gerechtigkeit deutlich macht und aktualisiert.

– Zunächst einmal innerhalb der Kirche: indem wir uns an die Lehren der Vergangenheit erinnern, um neue Dynamiken und Synergien zu initiieren. Bei der Ermöglichung dieser neuen Dynamik unter den Christen könnte das Zentrum Nazaré im Jahr 2021 wieder eine wichtige Rolle spielen, indem es eine Bühne bietet und sogar als Ferment fungiert – mit einer neuen, bewussten und ausdrücklichen Unterstützung durch die gesamte Kongregation der M. Afr und der lokalen Kirchen der Region (IMBISA).

– Zweitens eine neue Dimension der Zusammenarbeit zwischen Christen und Moslems: Unverzügliche Initiierung von Begegnungen und Zusammenarbeit mit muslimischen Führern in den Kriegsgebieten des Nordens, nach dem eindeutigen Beispiel von Papst Franziskus und dem Appell des ehemaligen Bischofs von Pemba (der für seinen mutigen Einsatz mit dem Leben bedroht und 2021 nach Brasilien versetzt wurde).

Die M. Afr stellen internationale Expertise und Kontakte zur Verfügung, die sie in muslimischen Gemeinden in Nord- und Westafrika oder im Nahen Osten gewonnen haben. Die Weißen Väter sind inzwischen gereift als Missionare Afrikas und müssen die gegenwärtigen Herausforderungen und Verantwortungen annehmen und weiter pflegen, was 1971 gesät worden ist.

Zu glauben, dass der Heilige Geist im Jahr 2021 am Werk ist, wie er es 1971 war, verlangt von uns eine Antwort, indem wir versuchen, sein Wirken in Mosambik heute zu entdecken und uns mit ganzem Herzen daran zu beteiligen.

Da Christus für alle Menschen gestorben ist … glauben wir, dass der Heilige Geist in einer nur Gott bekannten Weise am Werk ist und jedem Menschen die Möglichkeit bietet, mit dem Oster-Mysterium verbunden zu werden“. (GS 22).

in Wien, 01.05.2021

Hans Küng und seine Kirche

Ihr Lieben,
am 6. April ist mein Lehrer und Freund Hans Küng in seinem Haus in Tübingen friedlich eingeschlafen. Kurz danach konnten Inge und ich noch von ihm Abschied nehmen. Daraufhin habe ich einen kleinen Nachruf geschrieben:
Mit herzlichen Grüßen
Hermann
Hermann Häring

 

Der Tod eines Menschen ändert den Blick auf ihn. Es ist, als ob ein See erstarrt, keine Wellen mehr aufwirft, nie mehr über die Ufer tritt, keine Überraschungen mehr bietet. Jetzt kann man endgültig sagen, wer dieser Mensch war und was er für die Nachwelt bedeutet. Trotz schwerer Krankheit ist Hans Küng in den vergangenen Jahren nur langsam verstummt. Noch kein Jahr ist es her, dass der letzte Band seiner Sämtlichen Werke unter dem Titel Begegnungen erschien. Nichts anderes könnte dieses überreiche, spannungsvolle und mit Konflikten überladene Leben besser charakterisieren.

Mit visionärer Kraft entdeckte er immer Neues und er war – wie man in der Rückschau sagen kann – seinen Kollegen, seiner Kirche und der Verkündigung des Glaubens immer ein Stück voraus. Das begann während seines Studiums in Rom (1948-55). Ausgerechnet im so stolzen Zentrum des Katholizismus machte er (mit dem Erzprotestanten Karl Barth) die Ökumene zu einem katholischen Thema. Zur Vorbereitung des Konzils (1962-65) schrieb er ein Büchlein, das für viele die geistige Tagesordnung dieses epochalen Treffens wurde. Gegen Ende des Konzils entfaltete er sein Bild von einer schrift- und zeitgemäßen Kirche (1967), an dem sich die Konservativen ihre Zähne noch heute ausbeißen. Seinen Parforceritt setzte er 1970 mit seiner prophetischen Kritik am Unfehlbarkeitsdogma fort und in den 1970er Jahren entwickelte er eine umfassend theologische Grundlegung in der Trilogie von ChristseinExistiert Gott? und Ewiges Leben?

Den Hierarchen in Rom und in Deutschland wurde das zu viel. Sie entzogen ihm zu Weihnachten 1979 offiziell die kirchliche Lehrerlaubnis, hatten die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht. Denn mit ungeheurer Energie entdeckte und entwickelte er jetzt über 20 Jahre lange – in mehreren Standardwerken und endlich ohne christlichen Überlegenheitsaffekt – das weltübergreifende und weltbewegende Thema der Weltreligionen, lange Zeit bevor Rom dieses faszinierende Thema für sich entdeckte. Seine kirchlichen Reformimpulse ließen dadurch nicht nach und der Kreis seines Denkens schloss sich, als er im gleitenden Übergang das Projekt Weltethos entwickelte. Diese Projekt ist kein naiver Appell zur moralischen Aufrüstung, sondern setzt die gesamte theologische und religionswissenschaftliche Grundlagenforschung voraus, die Küng früher geleistet hatte, und die er auf seinen Weltreisen mit immer mehr konkreter Erfahrung und Anschauung füllte. Er wurde zum Mahner des Weltfriedens und zur Erinnerung daran, dass die Weltreligionen dabei eine enorme Rolle spielen können.

Ausgerechnet jetzt beschloss er sein Leben, da das katholische Deutschland zu beben beginnt. Der Synodale Weg setzt unerwartete Kräfte frei. Die seit 1965 verdrängten Themen brechen erneut auf. Frauen fordern handfeste Anerkennung, Homosexuelle ihre umfassende Würde ein. Vielerorts wird wieder über die Unfehlbarkeit des Lehramts diskutiert, vor allem aber stehen überall seine großen Themen von 1974 wieder im Mittelpunkt: die wissenschaftlich reflektierte und dogmatisch nicht überlagerte Gestalt Jesu von Nazareth ebenso wie seine stetige Warnung, Glaubensbekenntnisse zu rational abgesicherten Sachdefinitionen verkommen zu lassen, ferner seine Kritik vor einem tödlichen Klerikalismus, der deutlicher denn je seine Fratze zeigt. Verständlich, dass den Glaubenshütern auf Bischofsstühlen und Kathedern diese Verunsicherung nicht zupass kam. Man muss an den Großinquisitor von Dostojewski denken.

Wie hat Küng darauf reagiert? Auf dem Höhepunkt seines Schaffens hat er die Herren mit Kritik nicht geschont. Doch in diesem entnervenden Kampf hat er sich nie aufgezehrt. Dafür interessierte er sich viel zu sehr für Kulturen, Literatur, Musik, ‑ und für Menschen. Sprichwörtlich war, solange er sie noch leisten konnte, seine Gastfreundschaft, die weder konfessionelle, professionelle noch nationale Grenzen kannte.

Am meisten Bewunderung forderte er mir aber in den letzten Monaten seiner schweren Krankheit ab, als er nur noch mühsam sprechen und sich kaum mehr bewegen konnte. Der brillante Unterhalter, der einst große Gesellschaften dominierte und mühelos von Sprache zu Sprache wechselte, wurde zu einem milden, innerlich zufriedenen Menschen. Er habe ein gutes Leben gehabt, konnte er sagen. Offensichtlich spürte er in den letzten Tagen seinen Tod nahen und er empfing ihn in großer Zufriedenheit. Ein Wunsch blieb ihm allerdings unerfüllt, den er vor wenigen Tage noch äußerte: Eine Rehabilitierung seines theologischen Lebenswerks durch Rom blieb ihm leider verwehrt. Die Gründe für diese Verweigerung werden Rom, Rottenburg und die Deutsche Bischofskonferenz irgendwann erklären müssen.

Jetzt erfährt Hans Küng wohl, was er 2009 in seinem großen Glaubenszeugnis mit dem Korintherbrief so formulierte: „Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie auch ich ganz erkannt worden bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Das Größte unter ihnen ist aber die Liebe.“ Hans Küng, dieser unermüdliche Arbeiter im Weinberg des Herrn, ein Eidgenosse, dem Tübingen zum Lebensort geworden ist, hat in Gottes Reich seine Heimat gefunden. Er hat meine Theologie und meinen Glauben tief geprägt. In tiefer Ehrfurcht verneige ich mich vor ihm.

 

 

 

Felix Maria Davídek

Felix Maria Davídek (Wikipedie)

Diese Worte Jesu sind allgemein bekannt. Man muss nicht unbedingt Christ sein,  um der Botschaft dieser Aussagen zuzustimmen. Das, was eine gute Mutter, ein  guter Vater in die Kinder sät, durch Erziehung, Worte, persönliches Beispiel, dies alles wird trotz der möglichen Stürme des Lebens gute Früchte in ihren Nachkommen tragen.

Am 12. Januar dieses Jahres waren  genau 100 Jahre seit der Geburt von Felix Maria Davídek vergangen. Für die meisten Tschechen und Slowaken eine völlig unbekannte Person. Ich hatte das Glück in der Zeit des Kommunismus zu der Minderheit zu zählen, die über diesen Man gut informiert war.

Es war lange bevor ich im Jahre1983 nach Österreich emigrierte. Ich war damals Mitglied der geheimen, verborgenen Kirche, ich habe Priester, Ordensleute und viele anderen Menschen persönlich gekannt, die jahrelang als politische Gefangene in der damaligen kommunistischen Tschechoslowakei im Gefängnis verbracht haben. Aus den Erzählungen vieler, die durch das Gefängnis gegangen sind, begann ich zu ahnen, was für ein Mensch er war. Sehr viel hat mir Sebastian Jaďuď und andere Kapuziner über Davídek erzählt, die ihm persönlich im Gefängnis begegnet sind. Ich war damals ein junger, im Verborgenen tätiger Kapuziner. Felix Maria Davídek war auf jeden Fall innerhalb der verborgen Kirche ein Begriff!

Er wurde 1945 in Brünn zum Priester geweiht. In den folgenden Jahren, bis er 1950 verhaftet wurde, bildete er sich auf der UNI in verschiedenen Wissenschaftsfächer weiter fort und arbeitete zugleich als Kaplan in einer Pfarre. Aufgrund einer konstruierten Anklage wegen angeblicher antikommunistischer Tätigkeiten wurde er mit vielen anderen Priestern und Ordensleuten zu einer 14- jährigen Haftstrafe verurteilt. Erst im Jahre 1964 wurde er im Rahmen einer Amnestie entlassen. Aus den konkreten Zeugenaussagen, an die ich mich bis jetzt sehr gut erinnere, kommt hervor, dass F. M. Davídek ein außerordentlicher, in vielerlei Hinsicht begabter Mensch war.

Neben dem Studium der Theologie machte er auf der Masaryk Universität in Brünn den Doktor der Philosophie und studierte anschließend Pädagogik, Medizin und ohne Abschlussarbeit auch Kybernetik und die Handelswissenschaften. Er beherrschte sehr gut Deutsch, Englisch und Spanisch. Alle diese Talente hätten ihn zu einer einflussreichen, besonders wichtigen Karriere innerhalb der katholischen Kirche prädestiniert, gäbe es nicht die drastischen Maßnahmen des kommunistischen Regimes, die alles unterbrochen haben. Paradoxerweise konnte aber nicht einmal das Gefängnis die Entfaltung seiner Talente verhindern. Im Gefängnis gehörte er für andere Gefangenen vor allem aus den Reihen der verschiedenen Orden, zu den wichtigsten Bildungspersönlichkeiten. Zugleich erfreute er sich als einer, der solche Begabungen hat und sich für alles Neue und Innovative interessiert, auch als Kamerad aller Gefangenen großer Beliebtheit. Trotz des Gefängnisaufenthaltes, trotz der Isolation, trotz des Verlustes der Bewegungsfreiheit und der Kontakte zur freien Gesellschaft des Westens ist ihm der neue Geist in der Kirche, ausgerufen durch die Ereignisse des II. Vatikanischen Konzils, nicht entgangen.

Über verschiedene geheime Kanäle sind Nachrichten aus dem Westen zu ihm gekommen; er konnte die Bücher der neuen Theologie lesen und war so immer auf dem neusten Wissenstand und bestens über das kirchliche Leben informiert. Für die begrenzten Möglichkeiten, die es damals in der ČSSR gab, gehörte F. M. Davídek ganz sicher zu den best informierten, gebildetsten und visionären Kirchenleuten seines Landes.

Es überrascht also nicht, dass er bald nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis zu den wichtigsten Personen innerhalb der verborgenen Kirche zählte. Innerhalb der verborgenen Kirche gelang es ihm, seine Ideen zu verbreiten, obwohl jeder seiner Schritte streng von der Geheimpolizei überwacht wurde.

  1. Davídek ist für die kommunistische Regierung zur „Persona non grata“ geworden, da er für sie der Feind Nr. 1. war, weil er ihre Führungspläne durchschaute und kritisierte. Wegen seines Einsatzes für die Meinungsfreiheit und vor allem für das von Johannes XXIII. propagierte Aggiornamento in der theologischen Wissenschaft und der geltenden Kirchenpraxis wurde er auch innerhalb der damaligen, offiziellen hierarchischen Kirche in der ČSSR zu einer „Persona non grata“.
  2. Als Feind sah ihn vor allem die damalige pro-kommunistische Priesterorganisation „Pacem in terris“. Priester dieser Organisation lebten einerseits völlig von Rom isoliert, andererseits waren sie theologisch weniger gebildet, weil sie aus Desinteresse eine Auseinandersetzung mit der neuen Theologie verweigerten.
  3. Die Entwicklung der kirchlichen Situation in der Tschechoslowakei zeigte leider nach dem Zerfall des Kommunismus, dass F. M. Davídek auch für die neue, frei gewählte Kirchenleitung eine „Persona non grata“ war. Die „verborgene Kirche“ also war sowohl der kommunistischen Regierung als auch der pro-kommunistischen klerikalen Kirche und leider auch der neuen postkommunistischen Hierarchie ein Dorn im Auge.

Wie es leider  nach dem Motto, wer die Macht hat, dem auch „die Wahrheit” dient oft geschieht, funktioniert als Prinzip: Hundert Mal wiederholte Lüge wird zur Wahrheit. Dies erwies sich auch im Leben von F. M. Davídek. Der Großteil der Gesellschaft wusste von der Existenz der verborgenen Kirche nichts. Auf der anderen Seite bemühte sich die Regierung eine falsche Propaganda über sie zu verbreiten, indem sie die verborgene Kirche als den Feind des Landes darstellte, oder als eine kleine Gruppe fanatischer Gläubigen, die in einer Irrlehre leben.

In solch einer Gesellschaft und einer Atmosphäre der Lüge und Angst zu leben, auch noch nach 14-jährigem Gefängnisaufenthalt, ist nicht einfach. Im Gegenteil: Für viele Mitglieder der damaligen verborgenen Kirche hieß das als Held und Märtyrer zu leben. Dies galt besonders für F. M. Davídek.

Wenn ich jetzt über diese Epoche nachdenke, und ich habe ja selber meine eigenen Erfahrungen gemacht, muss ich mich mit allem Respekt vor diesem großartigen Menschen verbeugen. Trotz all der Bespitzelungen und Behinderungen hatte F. M. Davídek einen unglaublichen, enormen Tätigkeitsradius in der ganzen ehemaligen ČSSR. Aus heutiger Sicht ist es unbegreiflich, wie er das schaffen konnte. Es ist bewundernswert, aber auch unbegreiflich, welche Visionen, Übersicht, aber auch Informationen er damals hatte. Auf der Ebene der Theologie und der Dokumente des II. Vatikanischen Konzils, die er so gründlich wie niemand in der Tschechoslowakei studierte und kannte, hatte er schon damals neue Möglichkeiten für die Tätigkeit der Frauen in der Kirche gesucht. Schon damals lag ihm am Herzen, dass die Ämter der Kirche wie Priester oder Bischof auch für Frauen offen stehen sollen. Er kannte natürlich das Amtsverständnis der Kirche, ihre Ausrichtung gemäß der Tradition. Ihm war klar, dass er mit seinen neuen Ideen gegen eine Wand läuft, dass er missverstanden wird, ja sogar zum Häretiker erklärt werden wird, der sich von der Plattform des römischen Katholizismus auf die Plattform des Protestantismus begeben hat. Er hatte tatsächlich sehr viel riskiert, als er sich entschloss als geheimgeweihter Bischof die erste Frau zur Priesterin zu weihen. Er war ein intellektueller, perfekt ausgebildeter Theologe. Im Vergleich zu den anderen hatte er außerdem einen enormen Vorsprung: Er wusste aus eigener Erfahrung, wie mächtig und gefährlich ein spitzel-diktatorisches Regime sein kann. Dennoch wagte er den Schritt unter Berufung auf sein Gewissen und sein Studium und seine Lebenserfahrungen, eine Frau zur Priesterin zu weihen. Offiziell wurde niemals bestätigt, ob er vier oder mehr Frauen geweiht hat. Wir wissen nur von Ludmila Javorová. Wenn ich sie immer wieder höre, ich kenne sie auch persönlich, oder wenn ich etwas von ihr lese, kommen mir automatisch die Worte aus dem Evangelium über die guten Früchte, die ein guter Baum trägt. So stelle ich mir einen guten Menschen vor, als eine Person, deren Handeln das Tun eines anderen guten Menschen ist. So stelle ich mir einen guten Priester, eine gute Priesterin vor, als eine Nachfolgerin eines anderen guten Priesters, Bischofs oder Bischöfin.

Ich kenne auch andere Priester und Bischöfe, die F. M. Davídek geweiht hat, und bei ihnen allen habe ich ein sehr gutes Gefühl. Ich denke dabei auch an meine Tante, die Schwester meines Vaters, Anežka Žaloudkova aus Litostrov bei Brünn. Sie, ähnlich wie F. M. Davídek, hat den Zerfall des Kommunismus nicht erlebt. Sie war ein aktiver Mitglied der Davídekgruppe, wurde zur Diakonin geweiht und bereitete sich auf die Priesterweihe vor. Zu der Priesterweihe ist es leider nicht gekommen, weil sie erkrankte und verstarb.

Peter Sepp schrieb in seiner Doktorarbeit im Jahre 2002 über die geheim geweihten Frauen zur Zeit des Kommunismus in der Tschechoslowakei auf der Wiener Universität unter der Führung des Dekans der Theologischen Fakultät Paul Zulehner im Kapitel „Bischof Davídek und die Verborgene Kirche Koinotes“ von einer Synode, ausgerufen durch Davídek im Jahre 1973 in Červený Dol. Davídek wollte auf dieser Synode den Frauen die Gelegenheit geben, sich zu einigen Pastoralpraktiken zu äußern. Sepp benützt dabei Informationen zweier bekannter Historiker Peter Fiala und Jiří Hanuš aus dem Buch über die geheime Kirche in der Tschechoslowakei. Beide Historiker behaupten, dass Davídek diese Synode deswegen ausgerufen hat, um den Frauen die Chance zu geben, die liturgischen Texte, die man während der Messe liest, so zu überarbeiten, dass sie der Rolle einer geweihten Priesterin besser entsprechen. Bei der Organisation dieser Synode haben sich damals ca. ein Dutzend Frauen beteiligt, unter denen waren auch Ludmila Javorová und Anežka Žaloudková. Auf der Synode haben etwa 50 Menschen teilgenommen, unter anderem einige Familien mit Kindern. Eine Rekonstruktion dieser Synode ist nicht möglich. Auf der einen Seite wurden damals aus Sicherheitsgründen angesichts einer strengen diktatorisch-kommunistischen Zeit keine schriftliche Notizen gemacht, auf der anderen Seite ist die Mehrheit der Teilnehmer heute entweder schon tot, oder diejenigen, die noch leben, sind alt und krank. Peter Sepp hatte das Glückt während seiner Recherchen, lange vor der Fertigstellung seiner Arbeit, Interviews mit damals noch 16 lebenden Frauen, die sich an der Synode beteiligt haben, durchzuführen. Manche von ihnen erinnerten sich noch gut an den Beitrag meiner Tante. Ein anderer Zeuge, der meine Tante sehr gut kannte und mit ihren Gedanken vertraut war,  hat für Peter Sepp folgende Aussage gemacht: „Ihr Gesicht schien immer zu lächeln, sie war fröhlich, sie strahlte Ruhe, Freude und Demut aus. Sie war eine sehr angenehme Frau. Sie arbeitete als Zootechnikerin in der staatlichen Landwirtschaft, zuständig für kleine Kälber und kleine Schweine in Domašov bei Brünn. Sie starb am 9. Februar 1989 im Alter von 54 Jahren und ist in Zbraslav bei Brünn begraben.“ (Peter Sepp: Geheime Weihen. Der Konflikt um die Frauen in der verborgenen tschechoslowakischen Kirche. Eine qualitative Studie mit 16 interviewten Frauen,  Seite 51, 2002.)

An den Früchten erkennt ihr den Baum. Ein guter Baum trägt gute Früchte. Ein guter Mensch ist die Garantie für einen anderen guten Menschen, sei es ein Nachkomme oder jemand, den er erzogen hat, für den er verantwortlich war. Wir könnten

weiterdenken: Ein guter Priester, ein guter Bischof, ein guter Gläubiger, ein guter Christ, ein guter Mensch… Die Reihe deren, die Garantie für die Qualität eines anderen sein können, ist endlos. Am Ende dieser unendlichen Kette dürfen wir sagen: ein guter Hirt! Für so einen guten Hirten hat sich einmal Jesus erklärt. Möge Bischof Felix Maria Davídek, ein treuer Jesusnachfolger, auch hier und jetzt für uns alle ein gutes Vorbild sein und bleiben.

Peter Žaloudek, Wien, 10. 1. 2021

Requiem für einen Bischof

Joachim Jauer war fast 20 Jahre lang DDR-Korrespondent für das ZDF. Bild: © KNA

Mit freundlicher Erlaubnis des Autors und des Verlags wortwörtlich aus der Wochenzeitschrift CHRIST IN DER GEGENWART Nr. 7/2021, Freiburg i. Br., übernommen.

Nirgendwo in Mitteleuropa wurde die katholische Kirche so hart verfolgt wie in der früheren Tschechoslowakei. Etliche stellten sich mutig dagegen. Doch an Felix Maria Davídek (1921–1988), einen Bischof, der im Untergrund wirkte, erinnert selbst die Kirche bis heute nicht gern. Soeben wäre er hundert Jahre alt geworden.

Die katholische Kirche der ehemaligen Tschechoslowakei kennt viele Glaubenszeugen, die unter Verfolgung gelitten haben: etwa Kardinal Štěpán Trochta, Bischof von Litoměřice/Leitmeritz, der von den Kommunisten ebenso eingekerkert wurde wie vor 1945 von den Nazis und der im „Verhör“ an Herzversagen starb. Oder Dorfpfarrer Josef Toufar, den die Staatssicherheit zu Tode folterte und der heute wie ein National-Heiliger verehrt wird. Bischöfe wurden in Schauprozessen als „Feinde des Volkes und Agenten des Vatikans“ zu hohen Haftstrafen mit anschließendem Berufsverbot und Hausarrest verurteilt. Unzählige Priester wurden verfolgt, Ordensschwestern und Mönche aus ihren Klöstern vertrieben.

An Felix Maria Davídek, einen Bischof, der im Untergrund wirkte, erinnert die Kirche allerdings nicht gern. Denn Davídek hat als Hirte in der „Geheimen Kirche“ gegen römisches Recht und katholische Tradition verstoßen. Er hat Frauen und verheiratete Männer zu Priestern geweiht und sogar eine Frau zu seiner Generalvikarin ernannt.

Frauen zur Tarnung

Nur wer vergisst, in welch finsterer Zeit Davídek gehandelt hat, mag heute über sein eigenwilliges Wirken den Kopf schütteln. Nirgendwo in Mitteleuropa wurde die katholische Kirche so hart und konsequent verfolgt wie in der ehemaligen Tschechoslowakei. „Wir müssen die Kirche neutralisieren und in unsere Hände bekommen, damit sie dem Regime dient, weg von Rom und hin zu einer Nationalkirche“, forderte 1948 der tschechische Stalinist Klement Gottwald. Verheiratete Priester und eine Frau im bischöflichen Stellvertreteramt waren zwar kirchenrechtlich unmöglich – aber zugleich die sicherste Tarnung gegenüber den Spitzeln und Denunzianten der Staatssicherheit. Denn die konnte sich nicht vorstellen, dass so etwas in der hierarchisch gefügten römischen Kirche möglich sei. Doch Davídek und seiner Untergrund-Gemeinde war alles daran gelegen, den Gläubigen Seelsorge und Sakramente zu bewahren. Er selbst war durch Bischof Jan Blaha 1967 rechtmäßig zum Bischof geweiht worden.

Schon nach Kriegsende waren mit den Sudetendeutschen auch mehr als 1500 Priester vertrieben worden. Damit wurde die katholische Kirche in weiten Landesteilen von Böhmen und Mähren erstmals Diaspora. Kurz nach der Machtübernahme starteten dann die Kommunisten ihr kirchenfeindliches Programm. 1950 wurden alle Männerorden aufgehoben, die Mönche zur Zwangsarbeit verurteilt, Ordensfrauen in Industrie oder Landwirtschaft geschickt. Die Partei förderte eine „Katholische Aktion“ mit regimefreundlichen Priestern und Laien.

Da es Mitte der siebziger Jahre nur noch in einem Viertel aller Pfarreien einen romtreuen Priester gab, die meisten Bischöfe im Gefängnis oder zumindest im Hausarrest waren, trieb Davídek die Sorge um, kirchliches Leben werde auf Dauer völlig verschwinden. Schlimmer noch: Er fürchtete, dass der verbliebene Rest der Kirche durch die sogenannten Friedenspriester von innen zerstört würde. Das waren regimetreue, von den Kommunisten alimentierte Kleriker, die ihren Verein mit Bezug auf die gleichnamige Enzyklika von Papst Johannes XXIII. – zynisch – „Pacem in terris“, Friede auf Erden nannten.

Die „Verborgene Kirche“ lebte im Widerstand konspirativ. Auch viele ihrer kleinen Gruppen wussten kaum voneinander, und offizielle Kirchenkreise erfuhren erst nach dem Ende der kommunistischen Zwangsherrschaft von ihrer Existenz. Davídek nannte seine Gemeinde „Koinótés“, von griechisch koinonía – Gemeinschaft, eine „Ortskirche im totalitären System“. Der außergewöhnlichen Lage war er sich selbstkritisch bewusst: „Die Kirche … muss sich öffnen, auch trotz möglicher Irrtümer, die daraus entstehen können. Das ist eine schreckliche Verantwortung.“

Die verborgene Koinótés darf nicht verwechselt werden mit der geheimen Seelsorge, von Priestern mit Berufsverbot. Diese Priester feierten heimlich Gottesdienste und spendeten die Sakramente. Einen von ihnen, Václav Malý, der nach zahlreichen Verhaftungen zu Zwangsarbeit als Heizer und Toilettenreiniger verurteilt war, habe ich als Korrespondent zu einer Eucharistiefeier mit etwa 15 Gläubigen in einer Plattenbauwohnung am Rande der Stadt begleitet. Nie werde ich vergessen, wie diese kleine Gemeinde – mit dem Priester auf dem Boden sitzend – flüsternd „Kyrie eleison“ sang. Der spätere Kardinal von Prag, Miloslav Vlk, ebenfalls Pfarrer mit Berufsverbot, wurde von der Partei als Fensterputzer eingesetzt. Während er in der Innenstadt von Prag Schaufenster reinigte, gingen Mitglieder seiner Gemeinde auf der Straße zur Beichte. Da habe er, so sagte mir der Kardinal schmunzelnd, mit der Linken das Fenster und mit der Rechten die Seelen gereinigt.

Bis heute: geheim

Zurück zu Koinótés, dieser Kirche in der Stille. Jahre nach der „Samtenen Revolution“ versuchte ich in der mährischen Metropole Brno/Brünn Näheres zu erfahren. Im bischöflichen Ordinariat teilte man mir mit, man wisse nichts über Davídek, der als rechtmäßig geweihter Bischof, allerdings weitgehend inkognito, im kirchlichen Untergrund gelebt habe. Es seien nur Gerüchte im Umlauf. Wo das Grab des 1988 Verstorbenen sei, könne man nicht sagen. Beim Hinausgehen flüsterte mir eine Mitarbeiterin zu, das Grab liege auf dem Friedhof nahe dem Flugplatz. Wir fanden es, versehen mit einem großen Gedenkstein und auffallend reichem, frischem Blumenschmuck.

Ich habe auch versucht, Kontakt mit der von Bischof Davídek 1970 geweihten Generalvikarin Ludmila Javorová aufzunehmen. Es kam nur zu einem kurzen Gespräch an ihrer Wohnungstür, weil sie Angst vor einem Interview hatte. Sie sagte, sie sehe sich jetzt von Vertretern der Kirche verfolgt. Daher meide sie die Öffentlichkeit. Frau Javorová (88) lebt heute zurückgezogen in Brno.

Felix Maria Davídek, der als junger Priester 14 Jahre im Gefängnis gesessen hatte, lehnte jeden Kompromiss mit Staat und Partei ab. Nur so ist zu verstehen, dass er immer tiefer in die Isolation geriet und später ohne Einwilligung des Vatikan Frauen zu Priestern und verheiratete Männer sogar zu Bischöfen weihte. Eine solche Einwilligung hätte er übrigens angesichts der staatlichen Überwachung solcher Kontakte gar nicht einholen können. Davídek berief sich auf Papst Pius XII., der 1949 angesichts der Kirchenverfolgung in der Tschechoslowakei die Weihen geheimer Bischöfe empfohlen hatte. Bald danach, 1950, waren sechs von ihnen verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Davon erfuhr Davídek noch in seiner Gefängniszelle. Die völlige Geheimhaltung und zugleich „Irreführung“ der Behörden mit der Weihe verheirateter Männer hatten also ihren Grund. Diese „Tricks“ haben dazu beigetragen, dass katholisches Leben in der Diktatur überwintern konnte.

Nach der Wende aber war plötzlich alles anders. Verheiratete Kleriker und eine geweihte Generalvikarin obendrein waren der römischen Kirche alles andere als willkommen. Davídeks Weihen wurden für ungültig erklärt. Die ehelos lebenden Priester konnten sub conditione, also unter der Voraussetzung, dass ihre Weihe ungültig war, noch einmal gültig geweiht werden. Verheiratete aber sollten auf ihr Priesteramt verzichten oder zum byzantinischen Ritus der Slowakei wechseln, welcher die Eheschließung von Priestern gestattet. Einige Davídek-Priester lehnten das ab, weil sie sich sakramental gültig geweiht sahen. Römisch-katholisch wurde Jan Kofron als einziger verheirateter Koinótés-Priester sub conditione im Mai 2008 wiedergeweiht. Der Vater von vier Kindern erhielt dazu sogar die Zustimmung des Vatikan, sollte aber nicht als Gemeindepfarrer eingesetzt werden. Er ist Krankenseelsorger in Prag.

Nachsichtig verhielten sich die Kirchenoberen nach der Wende gegenüber denen, die als „Friedenspriester“ mit dem Regime kollaboriert und davon profitiert hatten. Sie waren nach dem Urteil des Vatikan gültig geweiht – vor allem aber nicht verheiratet – und wurden, allerdings ohne herausgehobene Kirchenposten, wieder in die Seelsorge übernommen. Ein Verstoß gegen den Zölibat schien also schwerwiegender als die Kumpanei mit einem menschen- und kirchenfeindlichen Regime.

Lieber unterwürfig sein?

Tschechien hält heute als kommunistische Hinterlassenschaft einen Spitzenplatz unter den atheistischen Regionen der Welt. Dass es die katholische Kirche nicht noch schlimmer getroffen hat, ist auch das Verdienst der geheimen Seelsorger, die von Bischof Davídek geweiht worden sind.

Die „Verborgene Kirche“ in der ehemaligen Tschechoslowakei ist Geschichte. Es gab in ihrer Zeit Versagen, Verwirrung und Eigenmächtigkeit, vielleicht sogar Hang zu bewusstem Ungehorsam gegenüber Rom, wie immer wieder in der Kirchengeschichte. Bei der Aufarbeitung der geheimen Koinótés-Praktiken wird für den verborgenen Bischof Felix Maria Davídek als den kirchenrechtlich „verlorenen Sohn“ ein „barmherziger Vater“ noch gesucht. Papst Franziskus, der von der einst ebenso verfemten Befreiungstheologie gelernt hat, rief zu einem „Jahr der Barmherzigkeit“ auf, Motto: „Barmherzig wie der Vater“. Auf Tschechisch heißt das Milosrdní jako otec.

Joachim Jauer langjähriger Korrespondent des ZDF in Osteuropa und in der DDR, Autor von „Die halbe Revolution. 1989 und ihre Folgen“ (Herder); lebt in Kirchberg am Wald. Quelle: CHRIST IN DER GEGENWART 2021, Heft 7, S. 6 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © Verlag Herder, Freiburg.  https://www.herder.de/cig/

 

Am Grab von Bischof Felix Maria Davídek

Erwin Koller bei der Preisverleihung in Wien 2011 (Foto: Ľubo Bechný, POLIS)

Ich habe mich vor zehn Jahren intensiv mit Felix Maria Davídek auseinandergesetzt, als ich im Namen der Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche ihn und sein Werk auszeichnen und ihm ein Buch widmen durfte: «Die verratene Prophetie».

Davídek gehört in die grosse Reihe der verleugneten Propheten. Zeiten der «Krisis», der Unterscheidung und Entscheidung, laden dazu ein, solche Propheten wiederzuentdecken. Die Krise ist heute da, zuallererst nicht in Prag oder Moskau, im Kalten Krieg zwischen Ost und West, im Graben zwischen Nord und Süd. Nein, die Krisis ist in der Mitte der Kirche angekommen. Die alten Antworten passen nicht mehr. Wir müssen nach neuen suchen, und wenn wir welche gefunden haben, dazu stehen, nach dem Vorbild von Bischof Felix Maria Davídek.

Ich nenne drei Dinge, in denen Davídek noch heute wegweisend ist.

  1. Kirche von morgen ist nicht klerikal, sondern mitten unter den Menschen.

Das Subversive, mit dem Davídek gelebte Kirche verbunden hat und verbinden musste, um seine Vision des Christlichen zu verwirklichen, ist auch in nicht-totalitären Gesellschaften zukunftsweisend. Traditionen tragen stets die Gefahr der Verkrustung in sich. Wenn jedoch die Ideen des Ursprungs massgeblich sind und nicht überlieferte Formen, suchen diese Botschaften ihren Weg zu den Menschen und zu Gemeinschaften unter allen Konventionen hindurch und an allem Geläufigen vorbei. Solche Suche geht nicht auf Distanz und Abschottung. Sie ist den Menschen und ihren Nöten nahe. Klerikale Besserwisserei ist ihr fremd. Auserwählt sind Christinnen und Christen nicht für einen Stand, sondern allein zum Dienst und zur Liebe.

  1. Kirche lebt nicht im Gestern, sondern im Heute und im Morgen.

Davídek war ein leidenschaftlicher Sucher nach neuen Erkenntnissen in modernen Wissenschaften und hatte keine Scheu vor der Aufklärung und vor Wahrheiten jenseits dessen, was kirchliche Dogmen festlegen. Damit öffnete er Fenster und Türen zu Andersdenkenden und Andersglaubenden. Er lebte im Heute Gottes und machte Glauben zukunftsfähig.

Davídek hat damit die offene und weltzugewandte Haltung des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgegriffen. Die katholische Kirche ist in eine verhängnisvolle Geschichte hineingeritten, als sie sich von der Reformation und dann auch von der Aufklärung abgrenzte und nur noch das Altbackene, das seit eh und je Übliche, das Tradierte glorifizierte. Vielerorts steht sie bis heute dem modernen und aufklärerischen Geist feindlich gegenüber. Der Buchstabe ist mächtiger als der Geist, wie bei den Pharisäern, die Jesus Widerstand leisteten.

Es ist unglaublich, dass ausgerechnet ein Christ, der unter den härtesten Bedingungen einer totalitären Diktatur leben musste, die Zeichen der Zeit tiefsinniger erkannte, den Heiligen Geist in Prozessen der Gegenwart am Wirken sah und so dem Künftigen Chancen eröffnete.

  1. Kirche im Geist Jesu ist nicht männlich, sondern menschlich: ein gemeinsames Projekt von Männern und Frauen.

Davídek hat früh eine Synode seiner Priester einberufen, auf der das Priestertum der Frauen beraten und schliesslich beschlossen wurde. Dementsprechend hat er Frauen zu Priesterinnen geweiht und eine von ihnen, Ludmila Javorová, zur Generalvikarin ernannt.

Davídek folgte damit jesuanischen Spuren. Auch wenn Jesus gewiss kein Feminist war, stand er doch Frauen sehr offen gegenüber, Maria von Magdala ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Doch ein Jahrhundert danach und spätestens seit der Konstantinischen Wende hat das römisch-antike Patriarchat auch die Geschichte des Christentums eingeholt und so sehr geprägt, dass heute nicht wenige dieses Patriarchat mit dem Glauben verwechseln. Das ist historisch vielleicht einsichtig, jesuanisch ist es nicht. Der Nazarener hat den Menschen ins Zentrum gerückt, in seiner Gruppe lebten Männer und Frauen gleichberechtigt miteinander, in Gleichnissen hat er die Nöte von Frauen aufgegriffen. Eine Kirche, in der nur Männer das Sagen haben, ist nicht nur antiquiert, sie ist auch ein Verrat am Geist Jesu.

Erwin Koller (geb. 1940) studierte katholische und protestantische Theologie und Publizistikwissenschaft. Von 1979 bis 2002 war er beim Schweizer Fernsehen Redaktionsleiter religiöser und gesellschaftspolitischer, kultureller und medienkritischer Dokumentationen und Magazine sowie Moderator philosophischer Gesprächssendungen. Von 2013 bis 2020 war er Präsident der Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche. Im Jahr 2011 hat diese Stiftung die Verborgene Kirche der Tschechoslowakei mit seinem Preis in Wien ausgezeichnet.

Uster, 21. Februar 2021

 

Davidek hat „das“ getan

Foto: Hans Klaus Techt

„In Zeiten wie diesen“ – dieser gerade so gängige Ausdruck ist auch auf die katholische Kirche anzuwenden: seit nun fast drei Jahrzehnten ist ihre Glaubwürdigkeit enorm im Schwinden, durch so viele Missstände, die nun auch für die Öffentlichkeit ans Tageslicht kommen, vor allem durch so viele Priester, von denen man nun weiß, dass sie sich sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht haben – an Männern, Frauen (Klosterfrauen!) und Kindern. Finanzskandale größten Ausmaßes kommen noch dazu. So ist es – gerade in Zeiten wie diesen – besonders wohltuend, sich an Priester zu erinnern, die große Vorbilder waren. Bischof Davidek ist einer davon.

Er war ein Regimegegner. Das ist riskant, mutig und keinesfalls selbstverständlich. Für mich, die ich mein Leben lang in einer Demokratie gelebt habe, ist es gar nicht vorstellbar, wie es sich anfühlt, wenn man sich aus Gewissensgründen in Lebensgefahr begibt, und wie man 14 Jahre Gefängnis überstehen kann, ohne gebrochen zu werden und zu verzagen.

Dazu kommt, dass er von seiner „Mutter Kirche“ keinerlei Rückhalt erfahren hat. Auf sich allein gestellt, ohne konkrete Vorgaben und Richtlinien, wie er zu handeln habe, hat er großherzig selbst entschieden, was genuin christliches Handeln in seinem Kontext zu bedeuten hat. Papst Franziskus betont immer wieder, wie wichtig eine solche Haltung und ein solcher Mut für das Leben unserer Kirche ist.   „Die Kirche“ als die alleinige Meinungsmacherin, als die Instanz, die von oben nach unten festlegt, was richtig ist, an jedem Ort und zu jeder Zeit – die gibt es nicht, kann es gar nicht geben. Wir haben eine Botschaft, nach der wir uns richten und die in ihrer Grundausrichtung sehr klar ist („Liebt einander!“). Was sie im Einzelfall bedeutet, müssen wir nach unserem Gewissen, mit der Gemeinschaft, in der wir leben, mit den Betroffenen vor Ort, immer wieder konkret entscheiden. (WsK-Österreich, Nr. 108, Winter 2020, S. 21, Katzengold – oder mehr? Beitrag von Martha Heizer).

Davidek hat das getan – und zwar ohne jeden päpstlichen Rückenwind. Der Himmel möge es ihm lohnen! Dass er Ludmilla Javorová zur Priesterin geweiht hat, war ein prophetisches Zeichen. Damit hat er deutlich gemacht, dass seelsorgliche Unterstützung, priesterliches Tun nicht vom Geschlecht eines Menschen abhängig ist, sondern dass es hauptsächlich mit Gottvertrauen und Gott-Verbundenheit zu tun hat, ob man anderen Gott nahe bringen und sie in ihrem geistlichen Leben begleiten kann.

Der spätere Umgang des Vatikans mit dieser Handlung ist ein besonders beschämendes Beispiel dafür, wie versteinert und menschenfeindlich das Regelwerk der Glaubenskongregation inzwischen vielfach geworden ist.

Bischof Davidek war und bleibt ein Hoffnungsträger für all jene, die sich eine lebendige Kirche mit glaubensstarken und selbstverantwortlichen Mitgliedern wünschen!

 

Im Jahre 1995 stand Martha Heizer gemeinsam mit Thomas Plankensteiner mit dem österreichichen Kirchenvolks-Begehren am Anfang der weltweiten Bewegung Wir sind Kirche (We are the Church). Z. Z. ist sie Vorsitzende der Wir sind Kirche Österreich (WsK). Zwichen WsK und ok21 gibt es eine enge und langjährige freundschaftliche Zusammenarbeit.

Viren feiern keine Feiertage

Dr. Peter Križan ist Experte für Genetik und Erbkrankheiten, zuvor hat er als Facharzt für Innere Medizin gearbeitet. Er erklärt im Karpatenblatt-Interview, wie man sich am besten vor dem Corona-Virus schützt, was ihn selbst an dieser Pandemie erstaunt hat und welche Entwicklung er für dieses Jahr erwartet.

Was ist eigentlich das Gefährliche am Corona-Virus?

COVID19 ist heute die wichtigste übertragbare Krankheit in Europa. COVID19 steht für CO wie Corona, VI wie Virus, D wie Erkrankung/engl. disease, 19 wie das Jahr 2019, in dem die Erkrankung in dieser Form aufgetaucht ist. Einige Patienten haben schwere Symptome und einen komplizierten Verlauf, andere sterben an der Krankheit. Das Gesundheitswesen ist in den am stärksten befallenen Gebieten überlastet, die Wirtschaft stagniert und das soziale Leben versagt.

Auf europäischer Ebene besteht aber das Gefühl einer europäischen Gemeinschaft und einer starken Solidarität, zum Beispiel bei der Unterstützung der Entwicklung von Impfstoffen, ihres gemeinsamen Ankaufs und ihrer gerechten Verteilung. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass die Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten geschlossen und die individuellen Freiheiten in einem Ausmaß eingeschränkt werden, das bis vor kurzem undenkbar gewesen wäre.

Wie sollte man sich vor COVID19 schützen?

Man sollte die Empfehlungen respektieren, sich die richtigen Gewohnheiten aneignen und sie seinen Kindern und seiner Umgebung vermitteln. Wir haben uns sehr schnell daran gewöhnen müssen, dass wir uns nicht mit Umarmen, Küssen oder Händeschütteln begrüßen dürfen. Wir müssen uns noch daran gewöhnen, dass unsere Hände desinfiziert werden müssen, wenn wir aus dem Bus aussteigen oder den Türgriff bei der Post anfassen. Schwieriger ist für uns die Pflicht, einen Mundschutz zu tragen. Wir dürfen dabei nicht so tun „als ob“, das ist unnötig und sogar schädlich. Alle Maßnahmen, die das Infektionsrisiko verringern, sind jedoch weniger wirksam, wenn sich die Krankheit schnell ausbreitet und viele infiziert sind. Anstatt vorsichtiger zu sein und die Maßnahmen zu verschärfen, stoßen wir dann häufiger auf Fragen nach ihrer Bedeutung. Das erleben wir jetzt. Zum Glück hat das Impfen bereits begonnen! Die Impfung gegen Infektionskrankheiten ist einer der größten Durchbrüche aller Zeiten im Gesundheitswesen. Eine ausreichende Impfung der europäischen Bevölkerung wird die Auswirkungen von COVID19 auf unser Leben schwächen und es aus den Schlagzeilen verdrängen.

Was weißt du heute über die Ansteckung, was du vorher nicht gewusst hast?

Mein medizinisches Arbeitsfeld ist Genetik und Erbkrankheiten. Sie gehören ebenfalls zur Gruppe der übertragbaren Krankheiten. Sie werden auch von Menschen zu Menschen übertragen. Indem sie Kinder haben, verbreiten sie sie langsam und unauffällig im Laufe der Zeit von einer Generation an die zukünftigen Generationen und sie migrieren über große Entfernungen in der ganzen Welt. Die Unauffälligkeit von COVID19 ist Erbkrankheiten sehr ähnlich, da sie von einer Person ohne Symptome übertragen werden können. Im Vergleich zu der Generationsübertragung in der Genetik hat mich diese Geschwindigkeit bei der Virusübertragung überrascht. Wie auf der Autobahn kann ein Moment der Unaufmerksamkeit fast sofort sehr schwerwiegende Folgen verursachen.

Jetzt haben wir das neue Jahr 2021. Was hat uns diese Pandemie gezeigt?

Viren feiern keine Feiertage. Sie maximieren ihr Wachstum, denken nicht an die Zukunft und werden bald enden. Das Jahr 2020 war für uns Menschen wichtig und das neue Jahr wird wieder wichtig sein, weil wir uns im Gegensatz zu Viren um uns kümmern. Wir haben gelernt, dass wir uns einigen können, dass wir in eine gemeinsame Sache investieren können, dass wir im Notfall die Produktionsprozesse und die behördliche Genehmigung verkürzen können. Dies umgeht nicht die gute Laborpraxis oder ein Spielen mit der Arzneimittelsicherheit. Wir haben gezeigt, dass wir wichtige Regeln wirklich respektieren und befolgen können. Ich gehe davon aus, dass dies wie im Fall von COVID19 auch in anderen Bereichen stattfinden wird, zum Beispiel bei der Behandlung von Tumoren und der Behandlung genetisch bedingter Krankheiten. Im globalen Sinne sind dies Maßnahmen zur Rettung des Planeten. Der Appell von Wissenschaftlern und ein Beschluss der Weltregierungen werden nicht genügen, jeder von uns sollte eine bestimmte Genügsamkeit finden.

Wieso ist es wichtig, sich impfen zu lassen?

Viele der Regeln, die ich befolge, schützen mich und gleichzeitig andere wie die üblichen Vorschriften im Straßenverkehr. Deren Einhaltung kostet mich nichts, sie gefährdet mich nicht und schützt alle. Es gibt aber auch gesellschaftliche Herausforderungen, die mich auffordern, mit Risiken umzugehen. Im Moment ist es nicht genug, für das Impfen als Win-Win-Strategie zu werben. Heute geht es nicht mehr darum, zu fordern, zu zwingen, zu bestrafen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Schwelle einer wirksamen Impfrate durch die Freiwilligkeit des Willens in Kombination mit der rationalen Berechnung anderer erreicht wird. Schließlich benötigt einer eine Impfbescheinigung für den Kindergarten, der andere für ein Ticket nach Australien und der dritte für etwas anderes. Von nun an wird das eigene Impfrisiko mit Vor- und Nachteilen gemessen, von dem die Organisatoren und der „Staat“ nicht einmal träumen. Weil wir unser Leben leben. Es ist wichtig, ob wir ein etwas höheres Dach der Verantwortung für diese Grundhaftigkeit füreinander, für eine gemeinsame Zukunft und eine gemeinsame Welt bauen können.

Was würdest du gerne den Menschen zum Thema Pandemie und Impfung mitteilen?

Die gesamte Menschheit wird die COVID19-Pandemie physisch überleben. Die Opfer sind statistisch weniger signifikant als zum Beispiel vor 100 Jahren in den Tagen der Spanischen Grippe. Doch es gibt einige „Aber“. Aber wir haben eine persönliche Verantwortung für alle, die nicht sterben mussten, wenn wir die Maßnahmen befolgt haben und freiwillig geimpft wurden. Aber wir müssen die Risiken akzeptieren, die zum Beispiel gegebenenfalls mit einer Impfpflicht einhergehen, um Epidemien und Pandemien vorzubeugen. Aber wir müssen darauf bestehen, dass klare Regeln dafür gelten, welche Einschränkungen wir in welchen Risikosituationen ertragen müssen. Aber wir müssen darauf bestehen, dass die Beschränkungen der persönlichen Freiheit aufhören, sobald das Risiko vorbei ist.

 

Das Gespräch hat Hubert Kožár geführt und es ist von Katrin Litschko übersetzt worden.

Wir sind sehr dankbar, dass wir den Artikel (Karpatenblatt, am 6. Januar 2021) auch auf der Webseite von ok21 veröffentlichen dürfen.

Der Klerikalfaschismus in der Slowakei

 

Miloslav Szabó ist ein erfolgreicher slowakischer Historiker und Germanist. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, u.a. Von Worten zuTaten, Metropol Verlag, Berlin (2014, Deutsch) oder Klérofašisti. Slovenskí kňazi a pokušenie radikálnej politiky (1935 – 1945), (Klerikalfaschisten. Slowakische Priester und die Versuchung der radikalen Politik (1935 – 1945), Slovart (2019, Slowakisch) und letztlich Potraty (Die Abtreibungen), N Press, s.r.o., (2020, Slowakisch).

Hubert Kožár, Korrespondent des Karpatenblattes, inteviewte Miloslav Szabó. Wir danken allen Beteiligten (Szabó, Kožár, Karpatenblatt), dass wir den Artikel auf der Webseite von ok21 veröffentlichen dürfen.

„Die Geisteswissenschaften … by MZPRX006